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NATO-Manöver und das Verhältnis der NATO zu Russland

Ein Referat von Lühr Henken (Sprecher für den Bundesausschuss Friedensratschlag)

Die NATO hat im Juni 2016 an ihrer Ostgrenze drei Großmanöver abgehalten. Die Heeresübungen Anakonda mit 31.000 Soldaten in Polen und Saber Strike (Säbelschlag) mit 10.000 Soldaten in den drei baltischen Staaten sowie der Marineübung BALTOPS mit 6.100 Soldaten. An 10 Tagen im Juni fanden alle drei Kriegsmanöver gleichzeitig statt, so dass 47.000 Soldaten sehr nahe an der russischen Westgrenze konkrete Kriegsübungen abgehalten haben.
Über Anakonda (1) sagte Polens Präsident Duda: „Das Ziel ist klar. Wir bereiten uns auf einen Überfall vor.“ (2) Aus Russland ist gemeint. Die Bundeswehr nahm mit 400 Pionieren an Anakonda teil. Die FAZ berichtet: „Die Panzerpioniere aus Minden haben einen Rekord aufgestellt: Die längste Brücke, die je mit amphibischen Brückenelementen zusammengekoppelt wurde, überspannte … die Weichsel.“ (3)
Die FAZ weiß auch, wozu die Pionierübungen dienen: „Sie sollen demnächst die Schnelle Eingreiftruppe der NATO, die sogenannte ‚Speerspitze‘ mit ihren Fähigkeiten unterstützen.“ (4) Anakonda wird seit 10 Jahren alle zwei Jahre durchgeführt. Vor zwei Jahren waren es nur gut 13.000 Soldaten gewesen, davor 11.500. Also ein enormer Aufwuchs auf 31.000.

Saber Strike
Auch das NATO-Manöver Saber Strike (5) unter Führung des USAREUR in Wiesbaden und dem EUCOM in Stuttgart wächst seit seinem Start 2011 kontinuierlich, angefangen mit 2000 über 6000 und nun 10.000 Soldaten. Die Bundeswehr war daran mit 50 Heeresaufklärern mit Fennek-Spähpanzern beteiligt. Die Berichterstattung auf der Heeresseite der Bundeswehr lässt schaudern: Das lesen auch die Russen. Als Zwischentitel liest man: „Kampfstark dem Feind entgegen“ und „Geballte Feuerkraft zerschlägt den Feind.“ (6) Wenn das kein Säbelrasseln ist?

BALTOPS
Die Beteiligung der deutschen Marine an BALTOPS ist enorm hoch. 12 der 45 Kriegsschiffe stellt die Bundeswehr. (7)

Die Geschichte der NATO-Manöver in den letzten 10 Jahren zeigt eine erhebliche Zunahme der Soldatenzahl und der teilnehmenden Länder. (8) Die Soldatenzahlen nähern sich den Zahlen der
Großmanöver der 70er und 80er Jahre an. Das waren meist 50.000 bis 60.000, aber auch 100.000 in Westdeutschland.
Der NATO-Generalsekretär betont immer wieder, dass man keine Konfrontation mit Russland wolle und keinen neuen Kalten Krieg anstrebe. Allerdings zeigen die Handlungen das Gegenteil.

Hinzu kommen die Truppenstationierungen: Die Verdreifachung der NATO Response Force von 13.000 auf 40.000 Soldaten inklusive einer superschnell einsetzbaren Speerspitze von 5.000 Mann, die innerhalb von 2 Tagen am Einsatzort sein kann. Zudem die ca. 4 mal 1000 Soldaten, die in Polen und im Baltikum zwar rotierend, aber eben dauernd stationiert werden sollen. Deutschland bietet sich als Führungsnation eines dieser Bataillone an. Start soll Anfang nächsten Jahres sein. Dazu die rotierende deutsche Ausbildungstätigkeit für die litauische Armee an Panzerhaubitzen und Infanteriefahrzeugen unter dem Titel Persistent Presence (Ausdauernde Anwesenheit).

Die russische Seite hat angekündigt, als Gegenmaßnahmen bis Ende des Jahres drei neue Divisionen aufzustellen, zwei im Westen, und eine im Süden.(9) Mehr ist nicht bekannt. Eine russische Division kann zwischen 6.000 und 20.000 Soldaten umfassen. Das klingt nach Aufrüstung. Man muss allerdings berücksichtigen, dass Russland seit 2009 die Truppen im westlichen Militärbezirk um 80.000 Soldaten reduziert hat. Und eine unverdächtige Quelle aus der Stiftung Wissenschaft und Politik, Oberst a.D. Wolfgang Richter, stellte kürzlich fest: „Wir sehen keinen russischen Aufmarsch an den baltischen Grenzen. Russland hält derzeit noch die Zurückhaltungsverpflichtung für die
Regionen,“ die an Estland und Lettland angrenzen. (10)

Allerdings gibt es ja weitergehende US-Vorhaben: eine zusätzliche US-Brigade zu Übungen rotierend nach Osteuropa zu entsenden, und nicht nur vier jeweils 1.000 Mann ins Baltikum und nach Polen zu entsenden, sondern viermal 5.000.

Präsident Putin hat angekündigt, die Einsatzbereitschaft der russischen Armee zu prüfen. Kontrolleure würden den Zustand der Reserve und der eingelagerten Munition und Geräte prüfen.(11)
Zwei Tage nach dieser Ankündigung Putins meldete sich NATO-Generalsekretär Stoltenberg via BILD-Zeitung zu Wort und goss Öl ins Feuer: „Russland versucht mit militärischen Mitteln einen Einflussbereich aufzubauen.“, sagte er. „Das Bündnis beobachte eine massive russische Aufrüstung an der eigenen Grenze – in der Arktis, im Baltikum, im Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer. Darauf müsse die NATO reagieren.“ (12) Das im Widerspruch zur SWP. Ein paar Tage später sagte er wieder: Wir müssen auf Russland reagieren, „das seine Militärausgaben seit 2000 verdreifacht hat.“ (13)
Meine Anmerkung: Man muss solche Aussagen auf den Wahrheitsgehalt untersuchen und sie einordnen. Die Aussage für sich genommen stimmt. Der russische Militärhaushalt ist seit 2000 von 29 auf 91 Milliarden Dollar gestiegen. (14) Das ist ein Plus von 62 Milliarden bei inflationsbereinigten Preisen von 2014. Um es einzuordnen, hilft der Vergleich mit den USA im selben Zeitraum. Dort: Ein Anstieg von 415 auf 595 Milliarden: Ein Plus von 180 Milliarden. Also war der Zuwachs des US-Militärhaushalts dreimal höher als der russische. Das, was zunächst aussieht wie russische Aggressionsvorbereitung, entpuppt sich als Abwehrmaßnahme gegen US-Aufrüstung.
Die russische Ankündigung, in diesem Jahr den Rüstungshaushalt um 5 Prozent und die Ausgaben für Beschaffung neuer Waffen sogar um 10 Prozent kürzen zu wollen, übergeht Stoltenberg.
Es gibt noch so ein perfides Argument. Diesmal vom Oberbefehlshaber für das US-Heer in Europa, Ben Hodges. Er befehligte Anakonda. Er sagte, die NATO könne die baltischen Staaten nicht vor einem Angriff der Russen schützen. Der US-General wörtlich: „Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen. Binnen 36 bis 60 Stunden könnten russische Truppen die drei baltischen Hauptstädte erobert haben.(15) Stimmt. Was er aber nicht sagt, ist, dass West-Berlin während des Kalten Krieges auch nicht zu verteidigen war. Haben die sowjetischen Truppen in der DDR Westberlin angegriffen? Und was er auch nicht sagt, ist, dass Russland anders als auf der Krim im Baltikum keine strategischen Interessen verfolgt. „Es ging um die strategischen Interessen an der Sicherung der Flottenbasis auf der Krim,“ (16) sagt Oberst a.D. Richter von der SWP.

Sozialdemokraten meldeten sich wohltuend kritisch zu Wort. Altkanzler Schröder und Außenminister Steinmeier. Schröder sagte: „Obwohl die NATO-Russland-Akte keine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen zulässt, sollen diese jetzt genau dorthin. … Ich halte die Beteiligung der Bundeswehr vor dem Hintergrund unserer Geschichte für einen großen Fehler. Aber von der NATO hätte ich soviel Klugheit erwartet, nicht ausgerechnet Deutsche mit Führungsaufgaben zu betrauen. 75 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion sollen wieder deutsche Soldaten an der russischen Grenze stationiert werden. Welche Wirkung muss so etwas in Russland haben? Darüber macht man sich in der NATO anscheinend kaum Gedanken.“ (17)
Und Schröder sagte noch etwas: „Wir sollten jetzt darauf achten, nicht in einen neuen Rüstungswettlauf einzusteigen. Das trägt nicht dazu bei, Konflikte zu reduzieren und ein gutes Verhältnis mit Russland wiederherzustellen.“ Und noch etwas sagte Schröder. Und das finde ich außerordentlich bedeutsam: „Die Vorstellung, dass irgendjemand an der russischen Führung die Absicht haben könnte, in NATO-Staaten zu intervenieren, hat mit der Realität nichts zu tun. (18)
Außenminister Steinmeier wurde mindestens ebenso deutlich: Er sagte: „Was wir nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“ Er nannte es „‘fatal‘, den Blick auf das militärische zu verengen und in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen.“
Wörtlich: „Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.“ Er mahnte Abrüstung und Rüstungskontrolle an. (19)
Auch die Stimme Gernot Erlers, Russlandbeauftragter der Bundesregierung, ist von Bedeutung: Er sagte, „Stationierungsentscheidungen und Militäroperationen schaukeln sich gegenseitig hoch. Das ist gefährlich. Genau aus solchen Entwicklungen heraus entstehen unkontrollierte Situationen bis hin
zum Krieg.“ Zwar rechtfertige das Vorgehen Moskaus in der Ukraine eine Reaktion der NATO. „Aber wir befinden uns in einer Spirale. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen ein Stoppsignal, bevor
es zu spät ist. (20) Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der „Münchner Sicherheitskonferenz“,
empfiehlt der NATO Zurückhaltung im Umgang mit Russland. Das westliche Militärbündnis solle „nicht draufsatteln, sondern mäßigen“. Die Gefahr, dass „aus Eskalationsschritten militärische
Kampfhandlungen“ werden, ist aus Ischingers Sicht größer als in der Spätphase des Kalten Krieges oder „in den vergangenen 25 Jahren“, ja sogar „größer denn je“.(21) Ischinger will Dialog, Entspannung und Rüstungskontrolle mit Russland.

Meine Anmerkung: Die Sozialdemokratie zeigt spürbar Kante. Sie wollen klar weg von der Konfrontation hin zur Kooperation mit Russland. Das ist genau in unserem Sinne.


1 Anakonda ist mit 31.000 teilnehmenden Soldaten aus 24 Ländern das bisher größte in Polen seit 1989. Es
findet seit 2006 alle zwei Jahre unter polnischer Führung statt. In diesem Jahr 10 Tage lang vom 7. bis 17. Juni.
12.000 kommen aus Polen und 14.000 sind US-Soldaten. Es nehmen 3000 Fahrzeuge, 105 Kampfflugzeuge und
Hubschrauber sowie 12 Kampfschiffe teil. Geführt wird das Manöver vom Multinationalen Korps Nord-Ost in
Szczeczin. FAZ 14.6.16
2 Militärmanöver in Polen: Im Würgegriff der „Anakonda“, Spiegel online, 7.6.2016,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/militaermanoever-in-polen-mit-nato-staaten-aerger-um-anakonda-a-
1096262.html
3 Pro Stunde können 140 Fahrzeuge die Brücke passieren. FAZ 14.6.16.
4 FAZ 14.6.16
5 findet seit 2011 jährlich rotierend in den drei baltischen Staaten und Polen statt. 2016 führte das EUCOM in
Stuttgart vom 27. Mai bis 21. Juni rund 10.000 Soldaten aus 13 Ländern in den drei baltischen Ländern, zum
Teil 150 km von der russischen Grenze entfernt.
6 22.6.2016, http://www.deutschesheer.de/portal/a/heer/!ut/p/c4/NU7BCoMwFPsWf-
C16iZjN4swdh2Mzd1qfejT2sqj6mUfv_awBEIgIUR8RKTTOw06kHfairdoDV27A0ZEBj2HDa0Fp83IZMaADiY9ciHzCq
bNUTLilVZ6BOMdhqSxFijqwDp4htVzsCnZmGMC1ItW5o2SZ_lH_q1VpZ63sjw1d_VIg91RWHJz_OPdjhywFuyXI46y3473jGt/
7 Ein multinationales Seemanöver, das in diesem Jahr vom 3. bis 19. Juni in der Ostsee stattfand. 6.100
Soldaten aus 15 NATO-Ländern sowie Finnland und Schweden haben teilgenommen. Es nehmen 60 Flugzeuge
und Hubschrauber teil. BALTOPS finden seit 1971 statt. Es ist das 44. Manöver unter der Führung des EUCOM in
Stuttgart. Ein Höhepunkt sind amphibische Landungsübungen an den Küsten Finnlands und Polens. Auch wird
geübt, dem Gegner den Zugang zu Gebieten zu verwehren (Anti Access / Anti Denial A2/AD). Bis 2008 hatte
auch Russland noch im Rahmen der NATO Partnership for Peace teilgenommen, seitdem nicht mehr.
8 Persistent Presence (Ausdauernde Anwesenheit) ist eine Ausbildungsmission in Litauen, die mit dem
Readiness Action Plan am letzten NATO-Gipfel im September 2014 ins Leben gerufen wurde. Im
Dreimonatsrhythmus bilden Soldaten diverser deutscher Jägerbataillone Litauer an Panzerhaubitzen,
Gepanzerten Transportpanzern BOXER und Spürpanzern FENNEK aus. Zurzeit sind es 300 Artilleristen. Stolz
meldet die Bundeswehr, dass zum ersten Mal die Panzerhaubitze 2000 nach Litauen verlegt werde. Litauen will
davon 12 von der Bundeswehr kaufen.
9 Spiegel online.de 4.5.16
10 Jerry Sommer, Renaissance der NATO-Abschreckung – Schritt zu mehr Sicherheit?, NDR Info, Streitkräfte und
Strategien 18.6.2016
11 Spiegel online.de 14.6.16
12 Spiegel online.de 16.6.16
13 NATO-Generalsekretär „Jede russische Gegenmaßnahme wäre ungerechtfertigt“, Süddeutsche.de 20.6.2016,
http://www.sueddeutsche.de/politik/nato-generalsekretaer-jede-russische-gegenmassnahme-waereungerechtfertigt-
1.3043507
14 https://www.sipri.org/databases/milex
15 Baltikum ist laut US-Befehlshaber kaum zu verteidigen, 22.6.2016, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-
06/anakonda-nato-russland-militaer
16 Oberst a.D. Wolfgang Richter (SWP), in: Jerry Sommer, Renaissance der NATO-Abschreckung – Schritt zu
mehr Sicherheit?, NDR Info, Streitkräfte und Strategien 18.6.2016
17 Prominente SPD-Politiker stellen sich gegen NATO-Verhalten gegenüber Russland, 18.6.2016,
http://augengeradeaus.net/2016/06/prominente-spd-politiker-stellen-sich-gegen-nato-verhalten-gegenueberrussland/
18 Gerhard Schröder warnt vor neuem Rüstungswettlauf mit Russland, Süddeutsche Zeitung 18.6.2016,
http://www.sueddeutsche.de/leben/gerhard-schroeder-ueber-russland-putin-hat-nie-versucht-mich-ueberden-
tisch-zu-ziehen-1.3035335?reduced=true
19 „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“, Spiegel online, 18.6.16, http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankwalter-
steinmeier-kritisiert-nato-manoever-in-osteuropa-a-1098360.html
20 NATO und Russland – Erler warnt vor Eskalation „bis hin zum Krieg“, Spiegel online.de, 23.6.2016,
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-und-russland-erler-warnt-vor-eskalation-bis-hin-zum-krieg-a-
1099270.html
21 Kritik an der NATO – Ischinger warnt vor Kriegsgefahr mit Russland, Spiegel online.de, 23.6.2016,
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-und-russland-wolfgang-ischinger-warnt-vor-kriegsgefahr-a-
1099341.html