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Freihandel und militärische Konfrontation

Anlässlich des Antikriegstages hielt der Völkerrechtler Professor Norman Paech am 1. September beim Arbeitskreis Frieden – ver.di in Hamburg einen Vortrag über: „Freihandel und seine möglichen Folgen“

Hier nun einige Ausschnitte aus dem Manuskript seines Vortrags:

Wer am Antikriegstag zu einem Vortrag über den Freihandel einlädt, könnte in Verdacht geraten, den freien Handel als den Schlüssel zum Frieden, als die Hauptwaffe gegen den Krieg ins Feld führen zu wollen. Und in der Tat, der freie Handel ist nicht nur seit Adam Smith (1723–1790) die Leitidee der kapitalistischen Weltwirtschaft, sondern der Fixstern unseres vielbeschworenen Wertekanons geworden. Er stützt sich auf eine Botschaft, deren Überzeugungskraft bis heute nicht verblasst ist, obwohl ihr ideologischer Charakter seit langem erkannt ist: Er sei das beste Instrument zur Förderung der Ökonomie und des Wohlstandes der am internationalen Handel beteiligten Staaten, und zwar auch der schwachen. Das ist grundfalsch, denn der Freihandel fördert vor allem die starken Ökonomien. Staaten halten immer dann das Banner des Freihandels hoch, wenn ihre Produktion einen Stand erreicht hat, der die internationale Konkurrenz nicht mehr zu scheuen braucht. (….)

Dieses so segensreiche (Wirtschafts-) System für die hochentwickelten Industriestaaten soll nun weiter optimiert und weltweit – China und Russland ausgenommen – als neoliberales Ordnungsmodell durchgesetzt werden. »Neoliberal« heißt hier Marktförderung, Privatisierung, Deregulierung, Eigentumsschutz und Entdemokratisierung. Es geht bei dem Freihandelsabkommen TTIP gar nicht so sehr um Abbau von Zöllen, die zwischen den USA und der EU bei etwa fünf Prozent liegen und damit ohnehin sehr niedrig sind. Und auch das prognostizierte Wirtschaftswachstum und die angebliche Zahl neuzuschaffender Arbeitsplätze sind inzwischen auf Größen geschrumpft, die niemanden mehr begeistern können. Chlorhühnchen, Genfood und klappbare Autorückspiegel dienen eher der Ablenkung von dem zentralen Ziel dieses Abkommens: die atlantische Dominanz trotz der drohenden Machtverschiebungen in der Welt zu sichern.
Der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat es in der FAZ am 23. Februar 2015 ganz einfach so ausgedrückt: »Wir reden zu viel über Chlorhühner und zu wenig über die geopolitische Bedeutung.« Also reden wir über die geopolitischen Ziele von TTIP, mit denen eine klare Konfrontationsstrategie und eine erneute Blockbildung angezeigt ist. Das klingt in den Worten des niederländischen »Clingendael Institute« noch relativ zurückhaltend: »Der wichtigste Grund (…) TTIP anzustreben, ist geopolitischer Natur. Der Aufstieg Chinas (und anderer asiatischer Länder), kombiniert mit dem relativen Abstieg der USA und der wirtschaftlichen Malaise der Euro-Zone, sind ein Ansporn für den transatlantischen Westen, seine gemeinsame ökonomische und politische Macht zu nutzen, um neue globale Handelsregeln zu schreiben, die seine ökonomischen Prinzipien (regelbasierte Marktwirtschaft) und politischen Werte (liberale Demokratie) reflektieren. TTIP ist ein zentraler Bestandteil in dieser Strategie.«⁴
Deutlicher war da der ehemalige stellvertretende US-Finanzminister Stuart Eizenstat, der schon zwei Jahre zuvor geschrieben hatte: »Es gibt im wesentlichen zwei konkurrierende Steuerungsmodelle in der postkommunistischen Welt. Eines ist das transatlantische Modell, basierend auf freien Völkern, freien Märkten und freiem Handel; das andere sind autokratisch, staatlich kontrollierte oder dominierte Volkswirtschaften und regulierter Handel. TTIP ist eine Gelegenheit zu zeigen, dass unser Modell (…) das beste ist, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.«
In solcher Sprache hallt der Sound des Kalten Krieges wider, das Gemeinte geht aber weit darüber hinaus, wie ein Blick auf das »Trans-Pacific Partnership«-Abkommen (TPP) zeigt. TPP gilt als amerikanisch-asiatisches Gegenstück zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und ist bereits im Prozess der Ratifikation. Es dient vor allem der Sicherung der Vormachtstellung der USA im Pazifik. Sein Scheitern schmälerte den Einfluss der Vereinigten Staaten in Asien, wie der Asienexperte Robert Manning vom US-Thinktank »Atlantic Council« offen einräumt. Das hat auch US-Verteidigungsminister Ashton Carter erkannt und 2015 deutlich formuliert: Die »Verabschiedung von TPP ist genauso wichtig wie einige weitere Flugzeugträger (…) Und es würde uns helfen, eine Weltordnung zu stärken, die sowohl unsere Interessen als auch unsere Wertesystem widerspiegelt.«
In dem Abkommen sind zwar Japan, Malaysia, Singapur und Vietnam vertreten, nicht aber die VR China: Das macht es zu einem Mittel des ökonomischen Krieges. TPP schüfe eine Freihandelszone, die 40 Prozent des jährlich weltweit geschöpften BIP umfasst und China außen vor lässt.
Russland wiederum ist von Anfang an von TTIP ausgeschlossen, was zur Konfrontationsstrategie von EU und NATO passt. Die Begründung fällt einem Politiker wie dem ehemaligen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nicht schwer: »Russland hat die Regeln gebrochen. Es hat die internationale Ordnung unterminiert, die die Grundlage unseres Friedens und Wohlstand ist. (…) Um diese Ordnung zu erhalten, müssen wir weiterhin zusammenstehen. Das heißt, wir müssen unsere wirtschaftlichen Bande verstärken. Und hier ist das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen eine Schlüsselfrage.«
Er denkt dabei bestimmt nicht nur an die erweiterten Möglichkeiten und Optionen des Rüstungsmarktes. Die Tatsache, dass sich hochrangige Militärpolitiker an der Freihandelsdebatte beteiligen, dokumentiert die militärstrategische Bedeutung derartiger Abkommen. Geopolitik hatte historisch schon immer mit dem Zugriff auf fremde Ressourcen und Territorien zu tun, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln. Repräsentaten der Wissenschaft sekundieren. Der schon zitierte Peter van Ham vom »Clingendael Institute« übertreibt in seiner Euphorie vielleicht etwas, zeigt mit seiner Hoffnung auf die Kraft von TTIP jedoch, dass Befürchtungen wegen der Kriegsdynamik dieses Freihandelsprojektes keineswegs ohne Grundlage sind: »TTIP kann die NATO erneuern«, schreibt er. »Es bedarf einer neuen Hierarchie, die deutlich macht, welche Länder wirklich wichtig sind und wirklich die Werte und Interessen des atlantischen Westens teilen. TTIP bietet der NATO eine klare Richtlinie an, um diese Entscheidung zu treffen. Bei TTIP geht es nicht nur um Freihandel, es führt Länder und Gesellschaften zusammen, die gegenseitiges Vertrauen in ihre jeweiligen Institutionen haben und die willens sind, ihren Lebensstil gegen konkurrierende Mächte zu verteidigen. Als (Hillary) Clinton sich auf eine ›Wirtschafts-NATO‹ bezog, hat sie nicht übertrieben. Ohne die wirtschaftliche Einheitlichkeit ist auch strategische Einigkeit unmöglich.«

Wir haben vielleicht schon vergessen, dass der Auslöser des Ukraine-Konfliktes, der in einen Krieg ausartete, die Zurückweisung eines Assoziierungsabkommens mit der EU durch den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch war. Diese Vereinbarung hatte ordnungspolitisch die gleiche Struktur und Perspektive wie das Freihandelsabkommen, sein Kern war die Freiheit des Marktes und des Handels. Es hätte die Ukraine nicht nur an die »Werte und Interessen des Westens« gebunden, sondern auch aus der Bindung an Russland gelöst und die alten wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland gekappt. Wer einmal in diesem Geflecht gefangen ist, dem wird es wie Griechenland ergehen, wenn er die Normen und Gebote des Vertrages nicht einhalten kann. Das Diktat der stärksten Staaten ist in diese Art Freiheitsverträge eingewoben. Niemandem in der EU oder NATO darf man ernsthaft abnehmen, dass die Warnungen Moskaus vor solch einem Schritt nicht gehört oder als nicht ernstgemeint eingeschätzt worden sind. Dies war ein bewusst provokatives Spiel mit dem Feuer, das den Krieg mit einkalkulieren musste. Denn schon einige Jahre zuvor hatten USA und NATO mit ihren Geldern, Geheimdiensten und Stiftungen den Sturz und die Auswechslung der Regierung mit der »orangen Revolution« vorbereitet.

Wie eng Krieg und Ökonomie miteinander verknüpft sind, machen die »Weißbücher« der Bundeswehr deutlich. Das letzte Exemplar ist gerade am 13. Juli nach zehnjähriger Pause erschienen. Bereits 1991 hatte der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, ein Papier mit dem Titel »Militärpolitische und militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr« vorgelegt. Darin hat er das deutsche »Sicherheitsinteresse« mit der »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen« umschrieben. Seitdem ist diese Definition des deutschen »Sicherheitsinteresses« Standard in allen regierungsoffiziellen Äußerungen. So wird als »vitales Sicherheitsinteresse« in Punkt 8 der »Verteidigungspolitischen Richtlinien« vom November 1992 formuliert: »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung«. Was gerecht ist, bestimmt die Bundesregierung.
Auch in den letzten beiden Weißbüchern »zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« der Bundesregierung von 2006 und 2016 fehlt nicht der Verweis auf die Abhängigkeit Deutschlands von internationalen Handelsrouten, Energieressourcen und Rohstoffen, ohne dass dabei die Aufgaben der Bundeswehr zur Sicherung dieser Interessen genau beschrieben werden. (...)
Das ist z.B. der Tenor eines Strategiepapiers des Arbeitskreises Internationale Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Die deutsche Sicherheitspolitik braucht mehr Strategiefähigkeit“ vom Januar 2014. Wie in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundesregierung von 1992 heißt es dort z.B.: „Angesichts der Verwundbarkeit Deutschlands und der Tatsache, dass das Wohlergehen der deutschen Bürgerinnen und Bürger in einem erheblichen Maß von einem sicheren und freien Welthandel und dem Zugang zu Rohstoffen abhängt, greift eine ausschließliche Konzentration auf moralische Kategorien zu, kurz...Es geht darum, für Regierung und Parlament sowie für die Öffentlichkeit und Medien eine überzeugende Begründung für eine geplante Intervention zu generieren.“
Ob die Sozialdemokraten ihre Interventionsstrategie auch über die Grenzen von Grundgesetz und Völkerrecht treiben wollen, wie es einige Monate später im Juni 2014 auf der 15. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung unter der Überschrift „Auf dem Weg zu mehr Verantwortung“ formuliert wurde, lässt der Arbeitskreis der Stiftung offen. Auf der Jahrestagung der Böll-Stiftung empfahl ein Redner des „Democratization Policy
Council“, auf jeden Fall eine kühnere Strategie:
„Die deutsche Politik muss akzeptieren, dass das bestehende internationale System, allen voran die Vereinten Nationen nicht den Herausforderungen der Weltunordnung des 21. Jahrhunderts entsprechen. Das bedeutet praktisch zu akzeptieren, dass ein
Agieren außerhalb des bestehenden völkerrechtlichen Rahmens vonnöten sein kann, wenn die Stabilität der internationalen Ordnung gefährdet ist...“

Erinnern wir uns an den Überfall 1999 auf Ex-Jugoslawien unter der Koalitionsführung von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer, ein grober Verstoß gegen das Völkerrecht, den Schröder auch kürzlich ganz entspannt eingeräumt hat. Die eventuelle Neuauflage einer solchen Koalition würde dem Völkerrecht bestimmt nicht mehr Geltung verschaffen.

Wenn also Rohstoffsicherung und die Freihaltung der Handelswege zu den Aufgaben der Bundeswehr gehören, stellt sich natürlich die Frage, was ein Freihandelsabkommen wie TTIP an dieser Konstellation ändert und womöglich verschärft? Handel für sich ist schon definitorisch nicht kriegsträchtig. Vor dem Hintergrund einer anschwellenden Debatte über gestiegene Verantwortung in der Weltordnung, dem immer stärker werdenden Ruf nach deutscher Führung und der Forderung nach einem unkomplizierteren Umgang mit Interventionen, kommt es jedoch darauf an, wie der Rahmen gestaltet wird, innerhalb dessen sich der Handel bewegen kann. Mit TTIP, TPP und dem kanadisch-europäischen Abkommen CETA wird das bereits bestehende multilaterale Handelssystem der WTO, der derzeit 162 Staaten angehören, parzelliert und in Machtblöcke aufgelöst, in denen auf jeden Fall die Dominanz der stärksten Ökonomien und ihrer transnationalen Konzerne gesichert wird. Sie zielen auf die Staaten, die bewusst von den Abkommen ausgeschlossen wurden und die sich in der Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zusammengeschlossen haben, um ein Gegengewicht zu bilden. In dieser Konfrontation geht es nicht mehr nur um Handel und Güteraustausch, sondern um die Ausrichtung des gesamten internationalen Systems nach den neoliberalen Vorstellungen des Westens. Die Zeiten sind jedoch vorbei, in denen ein Projekt wie das einer »Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung« – gegen den Einspruch der ehemaligen Kolonialmächte formuliert von der Gruppe der nichtpaktgebundenen Länder in der UN-Generalversammlung 1974 – in der Folgezeit mit dem GATT einfach unterlaufen werden konnte. Der Widerstand gegen den Monopolanspruch über die Weltordnung ist stärker geworden. TTIP fügt der derzeitigen politischen und militärischen Konfrontation ein weiteres destabilisierendes und gefährliches Element hinzu. Was die »Economic Partnership Agreements« (EPA) mit ihrer Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staatengruppe (ACP) nachweislich nicht erreicht haben, die tiefe Kluft zwischen den armen und den reichen Staaten zu schließen, wird mit TTIP auch nicht realisiert werden. Jüngste Studien gehen sogar davon aus, dass diese Kluft sich noch vertiefen wird. Dem Sicherheitsinteresse der Staaten wäre am meisten gedient, wenn diese Abkommen nicht in Kraft treten könnten.

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