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Ostermarsch 2018: Die Rede von Horst Schmitthenner

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Vor 12 Jahren habe ich hier zusammen mit Peter Strutynski gestanden, unserem Freund und Genossen, der viel zu früh gestorben ist und uns an allen Ecken fehlt. Wir haben gemeinsam gegen Kriege und für Frieden demonstriert.

Wir haben die gesellschaftlichen Bedingungen und die politischen Handlungen analysiert, die Kriegen zu Grunde liegen und friedenpolitische Aktivitäten behindern.
Das ist es, was er uns als Hochschullehrer mit seinem

Lehrstuhl für Frieden und Abrüstung gelehrt hat: Kriege fallen nicht vom Himmel, sie werden gemacht.

Und noch wichtiger, zu Kriegen gibt es friedenpolitische Initiativen.

Auch wenn er nicht mehr unter uns ist, wir werden dieses Vermächtnis weiterhin aktiv vorantreiben, so wie heute bei diesem Ostermarsch in Kassel.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Das junge Forum DIG und das Bündnis gegen Antisemitismus, beide hier aus Kassel, wollen nicht das ich auf diesem Ostermarsch rede, weil sie dem Veranstalter, dem Kasseler Friedensforum, antisemitische Positionen unterstellen. Ich kenne viele von ihnen und kann den Vorwurf nicht bestätigen.

Das ist eine fatale Situation: da sind die einen schnell dabei, berechtigte Kritik an der Politik Israels gegenüber Palästina als Antisemitismus zu denunzieren, und die anderen sie subjektiv jede Nähe zu Antisemitismus bestreiten, objektiv gesehen vielleicht doch in seine Nähe geraten. Da bleibt nur, miteinander offen zu reden.

Wogegen ich mich mit aller Macht wehre, ist die Kritik von beiden Gruppen, unser Weltbild Frieden zu schaffen ohne Waffen, sei fragwürdig, weil Frieden nur mit Waffen zu schaffen sein.

Selbst die Nahostregion zeigt doch seit Jahrzehnten, dass immer wieder kriegerische Handlungen stattfinden und ein wirklicher, dauerhafter Frieden nicht in Sicht ist.

Das auch, nicht nur da.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde

Kriege und bewaffnete Konflikte wie in Syrien, in Kurdistan, im Irak, in Afghanistan oder der Ukraine scheinen kein Ende zu nehmen.

1,8 Billionen Euro werden jährlich für Rüstung und Krieg ausgegeben. Gleichzeitig steigen
die Rüstungsexporte.

Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht.

Die Grenzen Europas und Deutschlands sind wieder abgeschottet.

Auf der Suche nach Sicherheit ertrinken tausende Menschen im Mittelmeer, das zur tödlichsten Grenze der Welt geworden ist.


Rassismus und offener Hass nehmen in vielen Ländern der Welt zu – auch in Deutschland. Die Wahrheit ist kein Kriterium mehr, alles wird behauptet und herbei gelogen, wenn es nur Ängste und Vorurteile schürt.

Die herrschende Politik gibt diesen Stimmungen nach und befeuert sie noch.

Inzwischen werden Geflüchtete sogar in Kriegsgebiete wie nach Afghanistan abgeschoben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Wie der Bundesausschuss Friedensratschlag verurteile auch ich den Angriff der USA auf den syrischen Flugplatz (al Schairat). Er stellt einen Bruch des Völkerrechts dar und erhöht die Spannungen in Syrien und zwischen den USA und Russland. Die Begründung des US-Präsidenten Donald Trump ist bis heute nur eine Behauptung. Zudem zeigt seine Ankündigung, das Waffenarsenal ausbauen zu wollen, ebenso wie der Militärschlag gegen Syrien, dass er nicht auf Friedenspolitik sondern auf militärisches Handeln setzt.

Ebenso verurteile ich den Einmarsch der Türkei in Afrin und die kriegerischen Handlungen die sie dort gegen die Kurden führt. Viele, auch Zivilisten sind dem schon zum Opfer gefallen.

Das ist ein völkerrechtswidriger Krieg.

Dennoch: wegen des Flüchtlingsabkommens kommt der Bundesregierung keine Verurteilung über die Lippen.

Eine Schande ist das.

Aber wir wissen ja um diesen Wackelkurs der Regierung, der sich auch in anderen Fragen zeigt.

So setzt sich die Bundesregierung offiziell für eine atomwaffenfreie Welt ein, will sich aber nicht an den internationalen Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beteiligen.

Das ist schizophren.

Denn ohne die Ächtung von Atomwaffen ist der Atomwaffensperrvertrag ein stumpfes Schwert.

Das muss nun auch die Bundesregierung einsehen.

Die Kritik der Bundesregierung, dass ein Vertrag wirkungslos bleibe, sofern die Atomwaffenstaaten nicht eingebunden sind, ist absurd. Die Ächtung der Atomwaffen ist ein unabdingbarer Schritt, die Abrüstung hin zu einer atomwaffenfreien Welt voranzubringen – auch, wenn nicht alle Staaten diesen Schritt von Anfang an mitgehen – wie dies bei den Verboten von Bio- und Chemiewaffen auch der Fall war.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen und der zunehmenden Militarisierung der Politik hat gleichzeitig die soziale Spaltung dramatische Ausmaße erreicht. Gerade einmal 45 Superreiche haben mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Deutschen.

Diese Spaltung gibt es nicht nur im globalen Maßstab, sie durchzieht nahezu alle Gesellschaften, auch die deutsche.

Millionen Menschen müssen sich mit Niedriglöhnen durchschlagen, haben keinerlei Aussicht auf eine existenzsichernde Rente, müssen um die wenigen bezahlbaren Wohnungen konkurrieren.

Anstatt dieses Problem anzugehen, werden immer mehr Mittel für Waffen und Militär ausgegeben und die Bundeswehr wird grundgesetzwidrig in immer mehr Staaten geschickt.

Sie plant in diesem Jahr 30 Mrd. mehr und bis 2030 sollen 130 Milliarden Euro zusätzlich für Rüstung ausgegeben werden. Gleichzeit fehlen überall Gelder für Bildung, Soziales
und ökologischen Umbau.

Das ist desaströse, verachtenswerte Politik.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Ja, wir können nicht nur über Krieg und Frieden in der Welt reden.

Wir müssen auch über die Aggressionen, die aggressiven Auseinandersetzungen, bis hin zu
Gewalttaten bei denen Menschen getötet werden, in unserer Gesellschaft reden.

Aus dem Stand kommt die AfD mit zweistelligen Prozenten in die Landtage.

Bei der Bundestagswahl 2017 erhält sie 12,6 % und ist nach Bildung der großen Koalition die größte Oppositionspartei im Bundestag.

Eine Partei die offen sagt, sie will keine Flüchtlinge in Deutschland haben und fordert, auf Flüchtlinge an der Grenze zu schießen, um sie an der Einwanderung zu hindern.

Pfui Teufel, das hat uns gerade noch gefehlt. Diese rassistische, nationalistische, antidemokratische, kurz faschistoide Partei ist überflüssig wie ein Kropf.

Aber wer die Wahlerfolge der AfD auf die Flüchtlingspolitik und ihre Verweigerung von Asyl
beschränkt, der springt zu kurz.

Ihre Wähler sind die ökonomisch Abgehängten. Es sind die noch gut situierten Bürger, die Angst haben auch an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden.

Es sind also jene, die mitansehen müssen, das Politik ausschließlich für die Finanzmärkte und die Besserverdienenden gemacht wird. Die erfahren müssen, das Politik und Politiker sich nicht um sie und auch nicht um die Angst der Bürger vor sozialem Abstieg kümmern.

Es ist also vor allem die dadurch geschaffene Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in Oben und Unten, die die Wahlerfolge der AfD ausmacht.

Wer die jetzt und in Zukunft bekämpfen will, muss nicht das Asylrecht zu Grunde richten, muss nicht die Flüchtlinge bekämpfen.

Er muss Sicherheit wieder herstellen und zwar soziale Sicherheit für alle.
Er muss den seit langem abgebauten, geschundenen Sozialstaat wieder aufbauen und dadurch die Spaltung der Gesellschaft abbauen.
Er muss Arbeit, bezahlbare Wohnungen, Bildung, Ausbildung und soziale Sicherung für alle, die das nicht oder nicht ausreichend haben, schaffen.

Für Einheimische und für Flüchtlinge.

Lassen wir uns – Erwerbslose, abhängig Beschäftigte und Flüchtlinge – nicht gegeneinander ausspielen.

Das nutzt nur denjenigen, die von den bestehenden Verhältnissen profitieren und es nutzt der AfD.

Schon bevor viele Flüchtlinge kamen fehlten massenhaft bezahlbare Wohnungen, Kitaplätze und gute Arbeitsplätze.

Diese Probleme sind hausgemacht.

Wenn nun mehr Menschen eine Arbeit suchen und eine Wohnung brauchen, ja dann wird der Mangel noch größer.

Also: „Klotzen statt Kleckern !“

Geld ist genug da – es ist nur in den falschen Händen.


Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

nicht nur unsere Gesellschaft ist weniger friedlich sondern rechtslastiger und aggressiver geworden.

Die ganze Welt ist nicht friedlicher geworden in den letzten Jahrzehnten.

Im Gegenteil.

Es gibt nur 200 Staaten auf der Welt, aber aktuell mehr als 400 zwischenstaatliche und innerstaatliche Auseinandersetzungen und politische Konflikte.

Viele davon werden, Gott sei Dank, gewaltfrei ausgetragen.

Viele aber gewalttätig, 46 hoch gewalttätig, darunter 21 breit angelegte und 25 regional begrenzte mörderische Kriege.

Eine Horrorvorstellung und für uns noch mehr Ansporn Kriege zu ächten.

Eine Möglichkeit Kriege zu verhindern ist auch unser Kampf für eine Beendigung der Rüstungsproduktion. Denn ohne Waffen und militärisches Gerät könnten die Kriege, die überall in der Welt geführt werden, nicht stattfinden. Es ist ein Skandal das Deutschland, nach den USA und Russland, inzwischen der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist. Bei Panzerlieferungen nimmt Deutschland sogar den 2. Platz ein und bei U-Booten der 1.Platz.

Besonders skandalös ist auch der Export von Kleinwaffen, durch die weltweit die meisten Menschen, vor allem auch bei nicht staatlich geführten Konflikten(Bürgerkriegen), ums Leben kommen.

Wir wollen das damit Schluss gemacht wird.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

wir brauchen keine Drohnen, wir brauchen auch keine milliardenschwere Rüstungsgüter wie Eurofighter, Military-Airbusse, Atombomber, Raketenabwehrsysteme, Kampf- und Transporthubschrauber, Marschflugkörper, Schützenpanzer, Fregatten und Korvetten, U-Boote,
Laser- und Streubomben.

Nein, das alles brauchen wir nicht.

Wir brauchen Abrüstung und Rüstungskonversion.

Oft wird die Forderung nach Einstellung der Rüstungsexporte und der Rüstungsproduktion mit dem notwendigen Erhalt der Arbeitsplätze in diesem Bereich zurückgewiesen.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

Ich frage, müssen wir wirklich auf Rüstungsproduktion setzen um Beschäftigung zu sichern?
Die Fakten jedenfalls sprechen dagegen.

Lediglich 80.000 Arbeitsplätze sind direkt von der Rüstungsproduktion abhängig.

Das ist schon angesichts der 3.4 Mio. Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie sehr überschaubar und zu bewältigen. Und angesichts der gut 45 Mio. Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft ist leicht denkbar das qualifizierte Ersatzarbeitsplätze zu schaffen sind. Und der Anteil der Rüstungsexporte an allen Ausfuhren liegt unter 1 %.

Der Titel des Exportweltmeisters ließe sich auch locker ohne Rüstung holen.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde,

es stimmt, Wohlstand und Arbeitsplätze hängen in diesem Land nicht von der Rüstungsindustrie und nicht vom Export von Waffen ab.
Was fehlt ist der entschiedene Wille der Politik, aber auch der Gewerkschaften, die Rüstungskonversion wirklich ernsthaft zu betreiben.

Wir werden weiter dafür sorgen müssen, dass sich das ändert und der Wille, Rüstung und somit Kriege zu beenden sichtbar stark und bestimmend wird.

Abrüsten statt Aufrüsten, Atomwaffen abschaffen,

Friedenspolitik statt Konfrontation.

Vielen Dank.

Horst Schmitthenner ist ehemaliges geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.