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Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Syrien - eine verfassungs- und völkerrechtliche Analyse

Die von der Bundesregierung in Anspruch genommene rechtliche Begründung für die Entsendung deutscher Streitkräfte nach Syrien ist unhaltbar. Zu diesem Schluss kommt Norman Paech, Professor für Verfassungs- und Völkerrecht i. R. der Universität Hamburg. Es bestehe kein Recht auf kollektive Selbstverteidigung, weder gemäß Art. 51 UN-Charta noch auf Grund der Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2914), 2249 (2015), heißt es in seinem Vortrag, den er während des 22. friedenspolitischen Ratschlags in Kassel im Dezember 2015 hielt. Wir dokumentieren hier seinen Vortrag:

Norman Paech
Professor für Verfassungs- und Völkerrecht i.R. der Universität Hamburg

Die Bundesregierung begründet ihren Antrag „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“ v. 30. 11. 2015 mit dem Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta und der EU-Beistandsklausel gem. Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des UN-Sicherheitsrats.

1. Die Bundesregierung beruft sich zunächst auf die Beistandspflicht, die der französische Präsident Hollande gem. Art. 42 Abs. 7 von den EU-Mitgliedstaaten eingefordert hat und die ihm am 17. November 2015 auch einstimmig zugesichert worden ist. Dieser Beistand verpflichtet die Staaten jedoch nicht zu einem bestimmten Handeln, geschweige denn zu einer Unterstützung mit militärischen Mitteln. Jeder Staat ist souverän in der Wahl seiner Mittel. Wenn jedoch die Bundesregierung sich zu einem militärischen Einsatz entschieden hat, benötigt sie eine völkerrechtliche Legitimation, die sie in dem Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta sieht.

Sie verweist dazu auf die militärischen Einsätze mehrerer Staaten (USA, Australien, Großbritannien, Frankreich), die bereits seit September 2014 dem „Irak - auf dessen Ersuchen – in Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 der Charta der Vereinen Nationen militärischen Beistand leisten“. Die USA haben in der Tat bereits am 23. September 20141 dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ihr militärisches Eingreifen unter Berufung auf legitime Selbstverteidigung angezeigt. Um auch den Einsatz von Militär in Syrien zu begründen, schreibt die Bundesregierung: „In diesem Zusammenhang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchgeführt, da die syrische Regierung nicht in der Lage und/oder nicht willens ist, die von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch IS zu unterbinden.“ Offensichtlich nimmt die Bundesregierung ein kollektives Verteidigungsrecht sowohl zugunsten Syriens als auch Frankreichs in Anspruch. Ein individuelles Selbstverteidigungsrecht, wie es in Kreisen der Koalition2 und z.B. von den USA3 und Frankreich wegen direkter Bedrohung durch den IS in Anspruch genommen wird, nimmt die Bundesregierung derzeit nicht wahr.

2. Wie man die Sache auch dreht und wendet, die ganze Konstruktion des Rechts auf Selbstverteidigung steht auf sehr wackeligen Füßen. Soweit sich die Staaten auf die Zustimmung der irakischen Regierung für ihr militärisches Eingreifen im Irak berufen können, ist dagegen nichts einzuwenden. Nicht aber so für die Bombardierungen in Syrien, wo sich nur Russland auf die Zustimmung der syrischen Regierung berufen kann. Die Berufung auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung zugunsten eines Staates ist jedoch ohne Zustimmung des angegriffenen Staates nicht möglich.

Die USA berufen sich auf die Zustimmung der irakischen Regierung und argumentieren, dass eine Intervention in Syrien notwendig sei, da nur dadurch die Gefahr für Irak und die Angriffe auf irakisches Territorium abgewehrt werden können. Es ist durchaus völkerrechtlich anerkennt, dass zur Verteidigung der Grenzen, diese auch in den Nachbarstaat, aus dem die Gefahr kommt, überschritten werden können. Dies aber nur in sehr begrenztem Umfang . Die Operationen der USA und ihrer Verbündeten bis weit in den Westen Syriens sind dadurch nicht legitimiert.

3. Verschiedentlich, und insbes. in den USA, wird die Ansicht vertreten, dass die Zustimmung eines Staates zu militärischen Maßnahmen gegen terroristische Aktivitäten dann nicht notwendig sei, wenn er nicht willens oder nicht in der Lage ist, diese zu bekämpfen und die Übergriffe in die Nachbarstaaten zu verhindern.4 Auf diese Ansicht stützt sich die Bundesregierung auch. Abgesehen davon, dass diese Position völkerrechtlich äußerst umstritten ist, da sie die Souveränität der Staaten aushöhlt, und noch nicht als eine gesicherte Doktrin gelten kann,5 liegen auch die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vor. Nicht Syrien ist unwillig, den IS zu bekämpfen, sondern die USA und mit ihnen die Verbündeten weigern sich, mit Präsident Assad überhaupt über die Bekämpfung des Terrors zu sprechen. Die syrische Regierung hingegen hat Russland ihre Zustimmung zum gemeinsamen Kampf gegen IS gegeben und damit eindeutig ihren Willen zur Abwehr bekundet. Dass sie bisher nicht in der Lage war, den IS zu besiegen, ist kaum eine Kritik, die Syrien alleine trifft, sondern richtet sich an alle Staaten, die den Kampf gegen den IS aufgenommen haben. Man kann auch nicht davon ausgehen, wie es mitunter jedoch getan wird,6 dass die Bombardierung von IS-Stellungen im Interesse Syriens liege, und man deshalb von einer stillschweigenden Zustimmung ausgehen könne. Die USA haben ausreichend öffentlich und wiederholt verkündet, das Regime Assad beseitigen zu wollen, so dass sie sich nun kaum auf eine stillschweigende Zustimmung dieser Regierung berufen können, Bombardierungen im ganzen Land ohne Abstimmung mit Damaskus vornehmen zu können.

Die Berufung auf ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugunsten Syriens ist daher nicht möglich und scheidet auch für den deutschen Einsatz aus.

4. Aber auch die Berufung auf ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung zugunsten Frankreichs begegnet schweren Bedenken und scheidet deshalb aus. Klassischerweise findet das Verteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta nur zwischen Staaten statt. Selbst wenn der Wortlaut des Art. 51 das nicht ausdrücklich sagt, so ergibt sich das jedoch aus seiner Entstehungsgeschichte in der unmittelbaren Nachfolge des verheerendsten Staatenkrieges des 20. Jahrhunderts und seinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gewaltverbot des Art. 2 Z. 4 UN-Charta, welches sich gegen jegliche zwischenstaatliche Gewalt in einer zukünftigen Friedensordnung richtet. Unterstrichen wird diese Beschränkung durch die sog. Aggressionsdefinition, mit der die UN-Generalversammlung im Jahr 1974 den Angriffskrieg als staatliche Gewaltanwendung definierte.7

Folgt man der französischen Regierung - bisher allerdings nur eine Behauptung -, so wurden die Anschläge in Paris, obwohl von französischen und belgischen Staatsangehörigen ausgeführt, von Syrien aus geplant. Sie seien also dem IS zuzurechnen. Selbst wenn Präsident Hollande von einem Krieg zwischen Frankreich und dem IS spricht – ein Begriff, den es im Völkerrecht nicht gibt, der umgangssprachlich jedoch militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten bezeichnet – ist klar, dass es sich beim IS nicht um einen Staat handelt. Bisher verfügt er weder um ein definiertes Territorium noch um ein Staatsvolk, und eine handlungsfähige Regierung, die den Staat wirksam nach außen hin repräsentieren könnte, ist trotz des eigenen Anspruchs nicht vorhanden. Unterstellt, dass der Angriff definitiv dem IS zuzurechnen ist, so ist er dennoch nicht ein Angreifer im völkerrechtlichen Sinn des Art. 51 UN-Charta.

Dieses Problem stellte sich den USA und dem UN-Sicherheitsrat bereits im September 2001 nach dem Terroranschlag in New York durch Mitglieder von Al-Qaida. Man half sich mit einer Theorie vom „sicheren Hafen“, die es ermöglichte, die Anschläge der Terrororganisation direkt dem afghanischen Staat zuzurechnen, der damit zum Angriffsobjekt der Selbstverteidigung nach Art. 51 wurde. Nach damals herrschender Ansicht war die afghanische Regierung eng mit den Taliban verwoben und bot dadurch Al Qaida ein sicheres Operations- und Rückzugsgebiet, von dem aus die Organisation Anschläge weltweit planen und durchführen konnte. Damit hatte man eine direkte Verbindung zwischen dem afghanischen Staat und den Terroranschlägen in New York hergestellt, und konnte afghanisches Territorium als Ziel für die eigenen militärischen Aktionen im Rahmen des Art. 51 UN-Charta bestimmen.

5. Bei aller juristischen Problematik der damaligen Konstruktion, ist diese jedoch auf Syrien und den IS nicht zu übertragen. Denn Syrien kann in keiner Hinsicht als „sicherer Hafen“, den die Regierung der Terrororganisation eingerichtet hätte, angesehen werden. Deshalb werden Überlegungen angestellt, die Zurechnung zu einem Staat zu lockern.

Terroraktivitäten nicht-staatlicher Organisationen oder Einzelner sollen auch dann als bewaffnete Angriffe des Staats i.S. des Art. 51 UN-Charta gelten, wenn diese keine Schutzverbindung oder Duldung durch den Staat aufweisen. Es sei notwendig, den Verteidigungsbegriff auch auf die Abwehr von Angriffen nicht-staatlicher Täter zu erweitern, da die Bedrohung durch Anschläge transnationaler Terrororganisationen 1945 noch nicht so bekannt gewesen sei, jetzt aber eine Regelung durch das Völkerrecht herausfordere. Die Gewalt und Zerstörungskraft des Terrors habe nach 9/11 ein derartiges Ausmaß angenommen, dass er zwischenstaatlichen militärischen Auseinandersetzungen durchaus vergleichbar sei. Akte des Terrorismus würden genauso eine „Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit“ gem. Art. 39 UN-Charta darstellen wie „bewaffnete Angriffe“ durch Staaten. Seit den Resolutionen 1368 und 1373 zu 9/11 habe der Sicherheitsrat bis in die jüngsten Resolutionen 2170, 2199 und 2249 aus den Jahren 2014 und 2015 immer wieder Terrororganisationen als „ernsteste Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit“ bezeichnet.

Gegen diese Erweiterung des Verteidigungskonzepts der UN-Charta lassen sich jedoch erhebliche Bedenken einwenden. Die Einstufungen als Bedrohung sind alle nur in den akklamativen und unverbindlichen Präambeln der Resolutionen enthalten, in denen auch regelmäßig die Garantie der Souveränität und territorialen Integrität des angegriffenen Landes auftaucht. Im operativen Teil, der nach Art. 25 UN-Charta für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist, findet sich keine derartige Referenz auf Art. 39 UN-Charta. Dort, im operativ verbindlichen Teil, wo die konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgezählt werden, finden wir in keiner der Resolutionen die Forderung nach militärischen Maßnahmen i. S. Art. 42 UN-Charta, sondern lediglich ökonomische, politische und polizeilichen Maßnahmen i. S. Art. 41 UN-Charta. Das spricht dafür, dass der Sicherheitsrat die Terroristen als Straftäter einstuft, die mit polizeilichen und gerichtlichen Mitteln und nicht mit militärischen verfolgt werden sollen. Die Erweiterung der Verteidigungsermächtigung auf Staaten, die den Terroristen in ihrem Land weder Schutz noch einen „sicheren Hafen“ bieten, sie sogar bekämpfen, käme auch in Konflikt mit der Souveränität dieses Staates. Die Verteidigungsmaßnahmen gem. Art. 51 richten sich gegen den direkten Angreifer, dürfen sich aber nicht gegen einen Staat richten, dem die Anschläge nicht zugerechnet werden können. Das hat auch der Internationale Gerichtshof in seinen Entscheidungen zur israelischen Mauer8 und zum Congo9 bestätigt: „Artikel 51 UN-Charta erkennt das Recht auf natürliche und legitime Verteidigung im Fall der bewaffneten Aggression durch einen Staat gegen einen anderen Staat an.“ 10 1983 hatte der IGH11 in seiner Nicaragua-Entscheidung eindeutig formuliert, dass sich ein Staat das Handeln nicht-staatlicher Akteure nur dann zurechnen lassen muss, wenn er über diese eine „effektive Kontrolle“ ausübe.

Würden militärische Verteidigungsmaßnahmen gegen einen Staat zugelassen, dem die Terroranschläge nicht zugerechnet werden können, so würde das nicht nur faktisch die Aufhebung des Schutzes der territorialen Integrität ( Art. 2. Z. 7 UN-Charta), sondern auch des Gewaltverbots (Art. 2 Z. 4 UN-Charta) bedeuten.

6. Lassen sich die Pariser Anschläge also nicht dem syrischen Staat zurechnen, so besteht für Frankreich nach der bis jetzt immer noch gültigen Völkerrechtslehre kein Verteidigungsrecht mit militärischen Mitteln gegen Syrien und für die Bundesrepublik kein kollektives Verteidigungsrecht. Präsident Hollande hätte insofern den Beistand der EU-Mitgliedstaaten nicht nach Art. 42 EU-Vertrag, sondern nach Art. 222 EU-Vertrag einfordern sollen, der im Falle eines terroristischen Anschlages die Mobilisierung aller zur Verfügung stehender Mittel vorsieht, um den Staat „innerhalb seines Hoheitsgebietes zu unterstützen“.

Dem widerspricht auch nicht die Stellungnahme des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon vom 23. September 2014, in der er unter Betonung, dass alle Maßnahmen in Syrien in Einklang mit der UN-Charta und dem Völkerrecht erfolgen müssen, darauf hinweist, dass die Bombardierung der USA in Gebieten stattfindet, die nicht mehr unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen, und dass die extremistischen Gruppen eine „gegenwärtige Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit“ darstellen.12 Das könnte dahin interpretiert werden, dass der UN-Generalsekretär die Bombardierungen für völkerrechtsmäßig hält. Eine vorherige Benachrichtigung über einen Militärschlag ersetzt jedoch in keinem Fall die Zustimmung dazu. Auf jeden Fall reicht ein solches Schreiben nicht aus, die Fortentwicklung des Völkerrechts in einem so sensiblen und umstrittenen Bereich, wie dem der Ausweitung des Verteidigungsrechts, zu beweisen. Eine solche Fortentwicklung lässt sich nur mit einer breiten übereinstimmenden Staatenpraxis und der Zustimmung der internationalen Staatengemeinschaft feststellen, die derzeit jedoch noch nicht vorhanden ist.13

7. Die Bundesregierung stützt den Einsatz des Militärs ferner auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 2170 (2014), 2199 (2014) und 2249 (2015). Allen drei Resolution ist die Feststellung gemeinsam - worauf der Bundesminister des Auswärtigen und die Bundesministerin der Verteidigung in ihrem Schreiben vom 30. 11. 2015 besonders hinweisen -, dass von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht. In den Worten der Bundesregierung: Die Anschläge von Paris „sind ein Angriff auf Europa insgesamt, unsere Lebensart, unsere Kultur, unsere Werte. Die Anschläge, die Absage des Fußballspiels von Hannover, die Bilder aus Brüssel zeigen: die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist in der Mitte Europas angekommen. Europa muss gegen diese Bedrohung zusammenstehen.“14 Die Bundesregierung will damit nicht ein eigenes individuelles Verteidigungsrecht in Anspruch nehmen, sondern nur die Unterstützung für Frankreich als „Beistand unter Freunden“ betonen. Allen Resolutionen ist ebenfalls gemeinsam, dass sie zwar unter Berufung auf das Kapitel VII der UN-Charta ergangen sind, aber kein Mandat für militärische Zwangsmaßnahmen gem. Art 42 UN-Charta enthalten. Sie enthalten Maßnahmen zur Kontrolle und Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus, Einfrieren von Vermögenswerten, Waffenembargo, die Listung von Terroristen etc. Res. 2249 verlangt ausdrücklich, dass diejenigen, die für Terrorakte, die Verletzung des humanitären Völkerrechts oder die Verletzung und den Missbrauch von Menschenrechten verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das sind alles Maßnahmen im Rahmen des Art. 41, nirgends werden militärische Maßnahmen nach Art. 42 zur Verteidigung erwähnt.

8. Die Bunderegierung stützt sich allerdings auf den Wortlaut der Resolution 2249, in dem sie eine Ermächtigung für die Anwendung militärischer Gewalt als kollektive Selbstverteidigung zugunsten Frankreichs sieht. Resolution 2249 fordert in ihrem Absatz 5 alle Mitgliederstaaten, die die Mittel dazu haben, auf, „alle notwendigen Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht... zu ergreifen, um auf dem Territorium, welches sich in Syrien und Irak unter der Kontrolle von ISIL, auch bekannt als Da’esh, befindet, ihre Anstrengungen zu verdoppeln und zu koordinieren, um die terroristischen Anschläge insbesondere von ISIL zu verhindern und zu unterbinden... und den „save haven“, den sie sich in bedeutenden Teile Iraks und Syriens eingerichtet haben, zu beseitigen (to eradicate).“ Dieses ist jedoch gerade dem Wortlaut nach keine Ermächtigung, militärische Mittel einzusetzen, da sie nirgends erwähnt werden. Auch diese Resolution beschränkt sich auf Maßnahmen, den Zustrom ausländischer Terroristen nach Irak und Syrien zu stoppen, die Finanzströme zu unterbinden und die vorangegangenen Resolutionen umzusetzen. Wie erwähnt, enthalten auch die Resolutionen 2170 (2014) und 2199 (2015) keine militärischen, sondern nur politische, ökonomische und polizeiliche Maßnahmen. Sie sind geradezu der Beweis, dass entgegen der Annahme der Bundesregierung, die Unterstützung Frankreichs in seinem Kampf gegen den Terror im eigenen Land nur mit den Mitteln der zivilen Kräfte von Polizei, Finanz-und Grenzkontrollen etc. erfolgen darf. Die drei Resolutionen fordern und unterstützen zwar den Kampf und die Verteidigung gegen den IS, geben aber kein Mandat zum Einsatz von Militär.15 Frankreich bleibt nach Lage des Rechts, will es dieses nicht brechen, nur die Alternative übrig, die Anschläge in Paris mit den Mitteln der Polizei und der nationalen Strafverfolgung zu bekämpfen.

9. Ein Mandat für militärisches Eingreifen hat derzeit offensichtlich nur Russland durch die Aufforderung und Zustimmung der Regierung in Damaskus. Die vereinzelt geäußerte Meinung,16 dass die Regierung zwar noch legal und von der UNO anerkannt aber nicht mehr legitim sei, und deswegen Russland sich nicht auf die Zustimmung berufen könne, ist abwegig. Im Völkerrecht kommt es allein auf die Legalität einer Regierung an, die sich in ihrer faktischen Stellung im Staat als gewählte und amtierende Regierung17 manifestiert.

10. Die Bundesregierung sieht die Entsendung ihrer bewaffneten Streitkräfte verfassungsrechtlich „im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG“. Selbst wenn man die Auffassung akzeptiert, dass nicht nur die UNO und die NATO, sondern auch die EU ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ ist, so kann sie sich jedoch nicht auf kollektive Selbstverteidigung berufen. Der Rahmen – die EU – mag stimmen, die Regeln – die kollektive Selbstbestimmung gem. Art. 51 UN-Charta - aber nicht. Auch eine Berufung auf Art. 87 a Abs. 2 GG für die Entsendung der Streitkräfte scheitert, da es sich völkerrechtlich und damit auch verfassungsrechtlich nicht um Verteidigung handelt.

11. Die Bundesregierung beruft sich zwar auf Art. 51 UN-Charta, möchte aber den Begriff Krieg vermeiden. Das Völkerrecht kennt den Begriff des Krieges nicht. Es unterscheidet zwischen einem internationalen Konflikt zwischen Staaten, sprich Krieg, und einem nichtinternationalen Konflikt, der als Bürgerkrieg bezeichnet wird. Die Bundesregierung möchte ihren Einsatz der Streitkräfte an der Seite der USA, Frankreichs und jetzt auch Großbritanniens lediglich als eine Intervention zugunsten Frankreichs, d.h. allenfalls als Beteiligung an einem Bürgerkrieg verstanden wissen. Dies entspricht jedoch schon lange nicht mehr der Realität. Nicht nur, dass der IS bereits in zwei Staaten, Irak und Syrien, operiert, auf der Gegenseite haben inzwischen 15 Staaten (Sieben verbündete NATO-Staaten: USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Kanada, Belgien und die Niederlande; acht Nicht-NATO-Verbündete der USA: Israel, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Bahrein und jetzt auch Russland) in die Kämpfe eingegriffen und den Konflikt internationalisiert. Dies ist schon lange kein interner Konflikt mit internationaler Beteiligung mehr, sondern ein internationaler Konflikt, in den die Bundesrepublik jetzt eingreifen will, ein Krieg, mit allen Geboten und Verboten des humanitären Völkerrechts.

Zusammenfassung
Die von der Bundesregierung in Anspruch genommene rechtliche Begründung für die Entsendung deutscher Streitkräfte nach Syrien ist unhaltbar. Es besteht kein Recht auf kollektive Selbstverteidigung, weder gem. Art. 51 UN-Charta noch auf Grund der Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2914), 2249 (2015).

Ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugunsten Syriens besteht nicht, weil die syrische Regierung nicht zugestimmt hat, ihr auch nicht vorgeworfen werden kann, sie sei unwillig oder unfähig, sich zu verteidigen, wenn man sich verweigert mit ihr zu sprechen und sie sogar beseitigen will. Zudem hat Russland die Zustimmung und damit die völkerrechtliche Legitimation für seine militärischen Verteidigungsmaßnahmen von der syrischen Regierung erhalten.

Es besteht auch kein kollektives Verteidigungsrecht zugunsten Frankreichs, denn die Terroranschläge in Paris können nicht dem syrischen Staat zugerechnet werden. Syrien hat dem IS nicht, wie seinerzeit Afghanistan für Al-Qaida, ein Rückzugsgebiet bzw. einen „sicheren Hafen“ geboten und hat auch keine Kontrolle über den IS. Das Völkerrecht besteht nach wie vor darauf, dass ein Staat nur dann angegriffen werden kann, wenn ihm die Terroranschläge, die von seinem Territorium ausgehen, zugerechnet werden können. Dies ist ein Gebot der Souveränität und territorialen Integrität sowie des zwingenden Gewaltverbots, die nur mit der Zustimmung Syriens aufgehoben werden können.

Frankreich verbleiben alle Möglichkeiten der Verfolgung der Attentäter mit den nationalen Mitteln der Polizei, Grenzkontrollen, Strafverfolgung etc. sowie der Einforderung von Beistand und Unterstützung durch die EU-Mitgliedsstaaten gem. Art. 222 EU-Vertrag. In diesem Rahmen kann auch die Bundesrepublik tätig werden.

Auch die Resolution 2249 des UN-Sicherheitsrats ermächtigt die Bundesregierung nicht zum Einsatz deutscher Streitkräfte in Syrien. Die Resolution beruft sich zwar auf Kapitel VII UN-Charta, belässt es aber bei Maßnahmen ziviler Art gem. Art. 41 UN-Charta zur Bekämpfung des IS und gibt kein Mandat für militärische Maßnahmen gem. Art. 42 UN-Charta.
Da die Bundesregierung weder ein Recht aus Art. 51 UN-Charta noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrat zur kollektiven Selbstverteidigung hat, sind auch die beiden möglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Entsendung der Bundeswehr nach Syrien, Art. 24 Abs. 2 GG und Art. 87 a Abs. 2 GG, hinfällig. Die Entsendung der Bundeswehr wäre ein schwerer Verstoß gegen geltendes Völker- und Verfassungsrecht.

Die militärischen Kämpfe gegen den IS sind in völkerrechtlicher Terminologie ein internationaler Konflikt. Er erstreckt sich über zwei Staaten, Irak und Syrien, an ihm nehmen derzeit 15 Staaten teil. Es handelt sich um einen Krieg, der schon lange die nationalen Dimensionen eines nicht internationalen Konflikts (Bürgerkrieg) gesprengt hat, und muss auch als Krieg bezeichnet werden.

Hamburg, den 3. Dezember 2015
Gez. Prof. Dr. Norman Paech




UN DOC S/2014/695.

So Norbert Röttgen, „In Syrien verteidigen wir unsere Sicherheit“, FAZ v. 28. Nov. 2015.

So die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Samantha Power in ihrem Brief an den UN-Generalsekretär v. 23. September 2014