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Termine

Russland und die NATO

Am 14. September 2018 traf sich die Friedensbewegung zum 13. Runden Tisch der Partei Die Linke im Bundestag.

Lühr Henken (Sprecher vom Bundesausschuss Friedensratschlag) und Andreas Zumach (Journalist und Spezialist für Sicherheitspolitik und Rüstungsfragen) hielten dort faktenreiche und lösungsorientierte Vorträge zu den Spannungen zwischen der NATO und Russland, die wir an dieser Stelle zur Information und Diskussion für die Friedensbewegung zur Verfügung stellen.


Lühr Henken:

Seit November 1945 wurde die Sowjetunion von den USA, seit 1949 von der NATO, mit einem Atomkrieg bedroht. Die US-Aufrüstung fußte auf Lügen. Obwohl die USA es besser wussten, wurde Moskau eine Angriffsabsicht unterstellt. (1) Die UdSSR wurde so in ein atomares Wettrüsten gezwungen, das sie verlor.

Das Versprechen vom „Ende des Kalten Krieges“ aus der Charta von Paris 1990 wurde nicht eingelöst.
Statt sich aufzulösen - wie der Warschauer Pakt - rückte die NATO Schritt für Schritt näher an die russische Westgrenze heran, mit der Absicht, nach und nach Ex-Sowjetrepubliken bis hin zur Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu lösen und in den Westen einzugliedern. (2)

Einseitige US-Maßnahmen bringen die Säulen der internationalen Sicherheit ins Wanken

Erstens: Die flagranten Brüche der UN-Charta durch USA und NATO mit ihren Kriegen gegen Jugoslawien 1999 und den Irak 2003. Sie stellen das Recht des Stärkeren über das internationale Recht.

Zweitens: Der US-Militärplan einer „Full Spectrum Dominance“ aus dem Jahr 2000, der vorsieht, bis 2020 eine umfassende militärische Überlegenheit zu Wasser, zu Lande, in der Luft, im Welt- und im Cyberraum zu erreichen.

Drittens: Die Auflösung des Vertrags über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM) durch George W. Bush 2002. Die Kündigung des ABM-Vertrages gefährdet tendenziell die strategische Zweitschlagskapazität Russlands, insbesondere dann, wenn es eine vereinbarte Obergrenze für strategische Atomsprengköpfe und ihre Trägersysteme gibt. Das ist mit dem New Start-Vertrag der Fall.

Viertens: Seit 2006 verfolgen die USA das Ziel mittels eines Sofortschlags innerhalb einer Stunde jeden Ort der Erde treffen zu können. Dieser „Prompt Global Strike“ verschafft ihnen ein weltweites Erpressungspotenzial, was die Stärke des Rechts untergräbt. Russland sieht seine Kerninteressen durch den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe, der NATO Response-Force, und durch US-Stützpunkte in Bulgarien und Rumänien gefährdet. Durch das NATO-Angebot aus dem Jahr 2008, die Ukraine und Georgien aufzunehmen, fühlt es sich ernsthaft bedroht.

Mit dem Staatsstreich in der Ukraine 2014 drohte das Land als Pufferstaat zwischen NATO und Russland verloren zu gehen. Russland befürchtete, seinen Marinestützpunkt auf der Krim an die NATO zu verlieren. Seitdem betreibt Moskau eine Destabilisierung der Ukraine, um sie von einer Eingliederung in den Westverbund abzubringen.

Der NATO-Beschluss vom September 2014, wonach die europäischen NATO-Staaten und Kanada bis 2024 möglichst zwei Prozent, statt wie damals durchschnittlich 1,4 Prozent, (3) ihrer Wirtschaftsleistung für das Militär ausgeben sollen, verändert das ohnehin sehr schiefe Kräfteverhältnis bei den konventionellen Waffen zwischen Russland und der NATO weiter zu Gunsten der NATO.

An dieser Stelle komme ich nicht um die Nennung von mehreren Zahlen herum, um die Schieflage zu dokumentieren. Die NATO verfügt mit knapp 3,5 Mio. Soldaten über das 4,4 fache Russlands, die NATO hat 25 Prozent mehr Kampfpanzer, sie hat das 2,8 fache an Kampfhubschraubern, das Vierfache an Erdkampf- und Kampfflugzeugen. Die NATO hat das 2,7 fache an Zerstörern, Fregatten und Korvetten und das 2,6 fache an U-Booten. Nur in einer einzigen Kategorie schwerer Waffen hat Russland mehr als die NATO: Es hat 8 Prozent mehr Artilleriesysteme.(4)

Beim Vergleich der Militärausgaben wird der Unterschied wohl am deutlichsten. Die NATO schätzt, dass sich ihre Militärausgaben in diesem Jahr zusammen auf 1.013 Milliarden Dollar (5) belaufen werden. SIPRI gibt die russischen Militärausgaben für 2017 mit 66,3 Milliarden Dollar an. Russland hatte sie auf 2017 um 20 Prozent gesenkt.
Im konventionellen Bereich kann Russland nicht aufholen. Russland versucht diese Unterlegenheit durch taktische Atomwaffen auszugleichen, die im europäischen Teil lagern. Die Umsetzung des Zwei-Prozent-Ziels erschwert eine Abrüstung der ca. 2.000 taktischen Atomsprengköpfe Russlands. (6)

Zunehmende NATO-Manövertätigkeiten von Norwegen, über die Ostsee, dem Baltikum und Polen bis hinunter zum Schwarzen Meer und der Ausbau Deutschlands zur logistischen Drehschreibe und zum Truppenaufmarschgebiet provoziert russische Militärübungen. Dadurch erhöhen sich nicht nur die Spannungen, sondern auch die Gefahr eines Krieges aus Versehen.

Einen Lösungsansatz und einen für mich überraschenden Beleg für die bestehende Brisanz fand ich in der FAZ vom 12.4.18. Unter der Überschrift „Dialog statt Eskalation“ schreiben Edmund Stoiber, Horst Teltschik, Günter Verheugen und Antje Vollmer:

„Worauf es in erster Linie ankommt, ist die Überwindung der Sprachlosigkeit. Über alle Konfliktpunkte und Streitpunkte mit Russland muss offen geredet werden, ohne Vorbedingungen und Drohungen. Wir sollten eine Politik entwickeln, die sich ausschließlich am internationalen Recht und an der gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal der gesamten Menschheit ausrichtet.
Deutschland und die EU sollten dazu die Initiative ergreifen. Die Idee einer gesamteuropäischen Partnerschaft ist zwar nicht neu, aber wartet auf Verwirklichung. Das ist das richtige und große außenpolitische Thema dieser Legislaturperiode. Wer das nicht sehen will, ist blind für die Gefahr eines dritten und letzten Weltkrieges.“ (7)


1- Vgl. Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg oder: Die Totrüstung der Sowjetunion. Der US-militär-industrielle Komplex und seine
Bedrohung durch Frieden, Gießen 1995, 263 Seiten,

2- Vgl. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997, 311 Seiten

3- Defence expenditure of NATO Countries (2011 – 2018), NATO Press Release 10.7.2018. 15 Seiten,
https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2018_07/20180709_180710-pr2018-91-en.pdf

4- Welt am Abgrund? Der Münchner Sicherheitsbericht, Deutsche Welle, 8.2.18, http://www.dw.com/de/welt-am-abgrundder-
münchner-sicherheitsbericht/a-42482455

5- Siehe Fußnote 3

6- http://bos.sagepub.com/content/early/2015/04/13/0096340215581363.full.pdf+html , S. 2

7- FAZ 12.4.2018, Helmut Schäfer (Staatsminister im Auswärtigen Amt 1987 – 1998), Edmund Stoiber (bayrischer
Ministerpräsident (1993-2007), Horst Teltschik (Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz 1999-2008), Günter
Verheugen (EU-Kommissar 1999-2010), Antje Vollmer(Vizepräsidentin des Bundestages 1994-2005), Dialog statt Eskalation


Andreas Zumach, arbeitet u.a. für das Schweizer Fernsehen, die Tageszeitung taz und für den Infosperber.
Sein Referat beim friedenspolitischen Runden Tisch der Linken im Bundestag setzte er aus zwei Teilen vorheriger Vorträge zusammen, die er der Redaktion des Kasseler Friedensforums zukommen ließ.

Teil 1 aus: "Anforderungen an einen wirksamen Pazifismus heute und morgen", Vortrag bei der Pazifismus-Tagung der DFG-VK im Januar 2017 in Frankfurt.

(…)‬PAZIFISTINNEN SOLLTEN STÄRKER ALS BISLANG DIE DEBATTE ÜBER DIE NÜTZLICHKEIT DES EINSATZES MILITÄRISCHER MITTEL FÜHREN
PazifistInnen lehnen den Einsatz militärischer Gewaltmittel grundsätzlich ab‭ ‬-‭ ‬und belassen es leider oft bei dieser Haltung.‭ ‬Doch es wäre wünschenswert,‭ ‬dass sich PazifistInnen stärker als bislang an der Debatte über die‭ „‬Nützlichkeit‭“ ‬vergangener oder laufender Kriege beteiligen,‭ ‬ohne Angst zu haben,‭ ‬damit ihre grundsätzliche Ablehnung‭ ‬des Einsatzes militärischer Mittel‭ ‬zu kompromittieren. Denn durch die Debatte über die‭ „‬Nützlichkeit‭“ ‬vergangener oder laufender Kriege ließe sich die Skepsis gegenüber der Fortsetzung aktueller Kriege und gegenüber künftigen Kriegseinsätzen in der Bevölkerung verbreiten‭ ‬-‭ ‬bis hinein in Kreise von Soldaten und konventionellen Sicherheitspolitikern.‭ ‬Denn es lässt sich ja aufzeigen und nachwiesen‭ ‬dass sämtliche Kriege, die in den letzten‭ ‬25‭ ‬Jahren seit Ende des globalen Ost-Westkonflikts von westlichen Staaten (und auch von Russland‭) ‬geführt wurden,‭ ‬gemessen an ihrer jeweils erklärten Zielsetzung gescheitert sind.‭ ‬Und dass diese Kriege die Lage für die Menschen in den ehemaligen Kriegsgebieten nicht nachhaltig verbessert haben sondern fast immer erheblich verschlechtert haben.‭ ‬Das gilt für die militärischen Interventionen der‭ ‬90er Jahre im ehemaligen Jugoslawien‭ (‬wenn man denn bereit ist,‭ ‬die aktuelle Situation im Kosovo,‭ ‬in Bosnien Herzogowina und in Serbien nüchtern und ohne Scheuklappen und Schönfärberei zur Kenntnis zu nehmen‭)‬.‭ ‬Das gilt für Afghanistan und Irak.‭ ‬Und das gilt ganz besonders für den inzwichen seit über‭ ‬15‭ ‬Jahren‭ ‬,‭ ‬seit den Anschlägen vom‭ ‬11.‭ ‬September‭ ‬2001‭ ‬geführten‭ „‬Krieg gegen den Terrorismus‭“‬.‭ ‬Dieser Krieg ist gemessen an seinen damals von den kriegsführenden Regierungen erklärten Zielen und dem Versprechen an ihre Bevölkerungen,‭ diese neue Bedrohung schnell zu überwinden,‭ ‬nicht nur gescheitert,‭ ‬sondern er hat sich als völlig kontraproduktiv erwiesen und das Problem des islamistisch gerechtfertigten Terrorismus und die von ihm ausgehende Bedrohung noch erheblich verstärkt. (...)

Eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit von Pazifismus ist seine Glaubwürdigkeit.‭ ‬Das bedeutet,‭ ‬den Einsatz und die Androhung militärischer Gewaltmittel ausnahmslos zu kritisieren,‭ ‬egal,‭ ‬wo und durch wen sie stattfindet.‭
‬An dieser Glaubwürdigkeit mangelt es bislang mit Blick auf den Ukrainekonflikt in Teilen der Friedensbewegung und auch bei pazifistischen Gruppen/Organisationen.‭ (...)

Bei zahlreichen Veranstaltungen seit Frühjahr‭ ‬2014‭ ‬konnte man erleben, dass die Völkerrechtswidrigkeit des russischen Vorgehens unter Verweis auf die gravierenden völkerrechtswidrigen Kriege und andere Gewaltakte des Westens in den letzten‭ ‬25‭ ‬Jahren relativiert,‭ ‬verharmlost oder gar völlig geleugnet wurde.‭ ‬Der in Teilen der Friedensbewegung wegen seiner scharfzüngigen Kritik an Bundeswehr und NATO sehr geschätzte Ex-Oberstleutnant‭ ‬der Bundeswehr,‭ ‬Jürgen Rose denunzierte Kritiker des völkerrechtswidrigen Vorgehens Russlands sogar mit dem Vorwurf,‭ ‬sie seien ‭"…‬der antirussischen Propaganda von einer vorgeblichen‭ `‬Annexion‭` ‬der Krim auf den Leim gekrochen,‭ ganz so wie die übergroße Mehrheit der hiesigen Konzernmedien-Journaille,‭ ‬auf deren Stirn in kapitalen Lettern das Qualitätssiegel‭ '‬BRAINWASHED BY U.S.‭` ‬aufscheint‭"‬.‭ ‬Jede weitere Debatte über diese Frage und eine von westlichen wie von russischen Regierungsinteressen unabhängige und souveräne eigene Haltung schloss Rose aus mit der apodiktischen Feststellung:‭ "‬Der Behauptung,‭ ‬bei der Sezession der Krim handle es sich in Wahrheit um eine Annexion seitens Russlands,‭ ‬kommt in etwa der gleiche Erkenntniswert zu,‭ ‬wie der Aussage,‭ ‬dass die Erde kein Ellipsoid,‭ ‬sondern eine Scheibe sei.‭"
Rose und auch viele andere Apologeten des russischen Vorgehens berufen sich‭ ‬immer wieder auf den Hamburger Völkerstrafrechtsprofessor und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel,‭ ‬der den Kosovo-Krieg der NATO von‭ ‬1999‭ ‬und den Irak-Krieg der USA von‭ ‬2003‭ ‬in Artikeln für die Frankfurter Allgemeine Zeitung‭ (‬FAZ‭) ‬noch eindeutig als völkerrechtswidrig eingestuft hatte.
In einem Artikel für die FAZ vom‭ ‬7.‭ ‬April‭ ‬2014‭ ‬verharmloste Merkel die Annexion der Krim durch Russland zu einem innerukrainischen Sezessionsvorgang,‭ ‬auf den völkerrechtliche Kriterien‭ "‬keine Anwendung‭" ‬fänden.‭ ‬Wobei Merkel zwar die Verlagerung russischer Truppen auf die Krim als‭ „‬völkerrechtswidrig‭“ ‬bezeichnet,‭ ‬deren Vorgehen und die weiteren‭ ‬Umstände‭ ‬des Referendums unterschlägt,‭ ‬das diese Abstimmung zu einem rechtlich und politisch in der Hinsicht völlig unakzeptablem Vorgang macht.‭ (‬Details siehe unter Anhang‭ „‬Brief zu Merkel‭“)‬.‭ ‬Das lediglich in Moskau verkündete und von keiner unabhängigen Seite angebliche Abstimmungsergebnis wird von Merkel affirmativ übernommen.‭ (‬Details siehe unter Anhang‭ „‬Brief zu Merkel‭“)
Weder Rose noch Merkel haben ihre Haltung bis heute korrigiert,‭ ‬obwohl Präsident Putin inzwischen längst öffentlich eingeräumt hat,‭ ‬was er zunächst geleugnet hatte:‭ ‬dass im Vorfeld des Referendums vom März‭ ‬2014‭ ‬russische Soldaten und Waffen auf die Krim verlegt wurden.
Die unkritische Haltung gegenüber dem völkerrechtswidrigen russischen Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine offenbart einen besorgniserregenden Mangel an geistiger Unabhängigkeit und intellektueller Souveränität.‭ ‬Sie trägt dazu bei,‭ ‬die universell gültigen Normen des Völkerrechts und der Menschenrechte zu unterminieren und zu schwächen.

Man kann‭ (‬und muss‭) ‬doch einerseits

-1‭) ‬die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens seit Ende des Kalten Krieges schärfstens kritisieren,

-2‭) ‬die Hauptverantwortung dafür,‭ ‬dass es ab Ende‭ ‬2013‭ ‬zu dem eskalierenden Konflikt in der Ukraine und zwischen dem Westen und Russland über die Ukraine kam,‭ bei der Politik der NATO-‭ ‬und EU-Staaten in den letzten‭ ‬25‭ ‬Jahren ansiedeln‭ (‬NATO-Osterweiterung unter Bruch des Gorbatschow‭ ‬1990‭ ‬gegebenen Versprechens‭; ‬die fatale Ukraine-Politik der EU seit 2005‭; ‬das‭ „‬Krisenmanagement‭“ ‬der EU seit Beginn der Maidan-Proteste Anfang‭ ‬2014‭; ‬die konfliktverschärfende Rolle der USA etc.‭)‬,

-3‭) ‬die einseitige Berichterstattung und Kommentierung zum Ukraine-Konflikt in deutschen und anderen westlichen Medien kritisieren sowie die demagogischen Angriffe gegen die Person von Präsident Putin‭ (‬was etwas anderes ist,‭ ‬als eine‭ ‬-‭ ‬allerdings sehr notwendige‭ ‬- scharfe,‭ ‬aber sachliche Kritik sowohl an Putins zunehmend autoritärer bis diktatorischer Innenpolitik wie an Teilen seiner Außenpolitik‭)‬.

-4‭) ‬analysieren und erklären,‭ ‬warum Putin mit Blick auf die Krim und die Ostukraine so gehandelt hat‭ (‬was nicht bedeutet,‭ ‬diese Handlungen zu entschuldigen,‭ ‬billigen oder rechtfertigen‭)‬,

-5‭) ‬mit ebenfalls guten analytischen Argumenten der Behauptung widersprechen,‭ ‬nun seien Polen und die baltischen Staaten von Russland bedroht und daher bedürfe es einer Aufrüstung der NATO in diesen osteuropäischen Staaten,

-6‭) ‬die von den USA und der EU gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen als das von Anfang falsche und zum Scheitern verurteilte,‭ ‬weil völlig untaugliche Mittel zur Änderung der russischen Politik kritisieren,

-7‭) ‬für konkrete erste Schritte der NATO zur Deeskalation des Konfliktes plädieren‭ (‬zum Beispiel:‭ ‬eindeutiger Beschluss,‭ ‬dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht geplant ist‭)‬,‭ ‬damit dann auch Putin Deeskalationsschritte machen kann, ‭(‬all das ist meine,‭ ‬in zahlreichen Reden,‭ ‬Diskussionsbeiträgen,‭ ‬Artikeln und Büchern der letzten‭ ‬25‭ ‬Jahre öffentlich vertretene Position‭) und andererseits zugleich auch das russische Vorgehen und seine Völkerrechtswidrigkeit klar benennen und kritisieren.‭ ‬Das wäre eine intellektuell souveräne und glaubwürdige pazifistische Position.



Teil 2: Peter Dietrich / 19. Mai 2015 - Andreas Zumach

Die Nato muss ihren Gipfelbeschluss aus dem Jahr 2008 korrigieren, so dass eine Nato-Aufnahme der Ukraine und auch anderer östlicher Länder nicht mehr beabsichtigt und möglich ist. Dazu brauche es ein klares Signal – und nicht nur vertrauliche Hintergrundgespräche, in denen westliche Politiker zugeben, eine Aufnahme sowohl in die Nato als auch in die EU sei in den nächsten 20 Jahren nicht denkbar.

  • Die jetzige ukrainische Regierung muss die weitere Aufrüstung beenden, dafür braucht es Druck.
  • Weiterer Druck auf die ukrainische Regierung ist nötig, damit diese die Reformen umsetzt sowie Kompetenzen an die Provinzregierungen abgibt.
  • Moskau muss die Unversehrtheit der Ukraine anerkennen und jegliche Unterstützung der Aufständischen beenden.
  • Die von Putin angedrohte Erhöhung der Gaspreise um bis zu 80 Prozent muss vom Tisch.
  • Beide Seiten müssen ihre vielen Manövertätigkeiten einstellen. Je mehr es solche militärischen Manöver gibt, desto wahrscheinlicher wird ein militärischer Zusammenstoss.
  • Beide Seiten müssen ihre nach vorne stationierten Truppen zurückziehen und ihre Stationierungspläne aufgeben.
  • Eine Zollunion zwischen der EU und der Ukraine einerseits sowie eine zwischen der Ukraine und Russland andererseits müssen aufeinander abgestimmt werden. Denn die Sorge Russlands, über die Ukraine mit EU-Billigware überschwemmt zu werden, ist berechtigt.
  • Die Krim braucht ein neues, von der UNO durchgeführtes Referendum ohne «grüne Männchen» über einen Anschluss an Russland oder einen Verbleib bei der Ukraine, mit einer dritten Möglichkeit eines Verbleibs in der Ukraine mit weitgehender Autonomie.

Diese Vorschläge machte Andreas Zumach kürzlich vor einem breiten Bündnis aus Kirchen, Politik und Gewerkschaften, die ihn ins deutsche Kirchheim bei Stuttgart eingeladen hatten.

Als Hauptverantwortliche für den Konflikt bezeichnete Zumach die Mitgliedsstaaten der Nato und der EU: «Es war eine fatale Entscheidung der Nato, sich nicht auf Gorbatschows ‚Gemeinsames Haus Europa‘ einzulassen.»

Versprechen nicht gehalten

Stattdessen habe das westliche Bündnis die Nato in Richtung Osten ausgedehnt. US-Aussenminister James Baker habe in Moskau versprochen, dass sich die Nato nicht in Richtung Russlands ausweiten wird. Zwar habe es kein Abkommen gegeben, aber der damalige US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, habe die Zusage als Protokollant festgehalten.
Zumach erwähnte noch einen weiteren Zeugen. Kurz nach Hans-Dietrich Genschers und Helmut Kohls Moskaubesuch flog er – sein einziger Flug mit einer Regierungsmaschine – mit Genscher nach Ottawa. «Genscher kam aus seiner Schlafkoje und hat zwei Kollegen und mir ganz frisch aus Moskau von diesem Versprechen berichtet.»

US-Rüstungsindustrie an Nato-Ausweitung interessiert

Das Versprechen wurde gebrochen, doch wie schnell? Noch im September 1994 habe US-Präsident Clinton begründet, warum er eine Ausweitung der Nato für falsch halte. Doch dann hätten Diasporagruppen aus Ungarn und anderen Ländern in den USA Druck gemacht. Der wegen der Lewinsky-Affäre bedrängte Präsident habe sie als Wähler gebraucht.

Ausserdem habe die amerikanische Rüstungsindustrie dank einer Aufrüstung der neuen Nato-Länder kräftig verdienen wollen. Ende 1996 seien die USA dann für die Erweiterung gewesen. «In allen Kooperationen Russland-Nato hat Russland, wenn es drauf ankam, immer nur die zweite Geige spielen dürfen.»

EU stellte Ukraine vor Ultimatum

Die EU habe von der Ukraine eine Entscheidung verlangt von einem Land, «das auf gute wirtschaftliche Beziehungen sowohl zur EU als auch zu Russland angewiesen ist». Für Zumach erklären «Ignoranz und Dummheit» noch nicht alles. Im Jahr 2001 habe die EU mit der Lissabon-Strategie verkündet, sie wolle bis spätestens 2010 der global mächtigste Player werden, noch vor den USA. 2005 kam die «Nachbarschaftspolitik» dazu. Ziel sei ein Gürtel freundschaftlich gesinnter Staaten gewesen.

Die EU als grösster Geldgeber griff nicht ein

Als die EU längst Konfliktpartei war, sei Aussenminister Steinmeier in der Ukraine als Vermittler aufgetreten. Das Abkommen hielt keine 22 Stunden. Die Übergangsregierung kündigte als erstes das bis 2042 geltende Stationierungsabkommen mit Russland auf 2017 und wollte Russisch als zweite Amtssprache verbieten. Für Aufklärung der Scharfschützen auf dem Maidan und dem Flugzeugabschuss sollte ausgerechnet ein Generalstaatsanwalt der rechtsextremen Swoboda sorgen: «Und die EU als grösster Geldgeber griff nicht ein.»

Es hätte eine UN-Blauhelmtruppe gebraucht

Wäre der Konflikt in Afrika, «dann hätten wir längst nach dem Uno-Vermittler gerufen», so Zumach. «Aber wir Europäer denken, dass sich die Uno nicht in Konflikte auf unserem Kontinent kümmern muss.» Bis die OSZE, die stattdessen eingeschaltet wurde, mit 234 Beobachtern vor Ort war, dauerte es acht Monate. Die Überwachung der 2'200 Kilometer langen Grenze zu Russland wurde aufgestockt, von 13 auf 18 Mann. «Die OSZE wird scheitern. Uno-Militärbeobachter oder eine Blauhelmtruppe wären richtig gewesen.»

Im geostrategischen Konflikt Nato-Russland, ausgetragen in der Ukraine, gehe es längst um die Angst vor Gesichtsverlust. Diese Angst sei bei Putin mit 80 bis 85 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung für seine Ukraine-Politik noch stärker als im Westen: «Der Westen muss mit den ersten Deeskalationsschritten anfangen.»
(...)