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Die Macht der Rentenökonomie

Demonstration in Venezuela
Raul Zelik, ND Woche, 26.1.2019

Die USA, die EU, aber auch viele Venezolaner*innen blasen zum Sturz der Regierung Maduro. Tatsächlich ist die ökonomische Krise in dem südamerikanischen Land unerträglich geworden. Doch aus dem Blick gerät, dass auch die Opposition das strukturelle Problem des Landes ignoriert: die Abhängigkeit vom Öl und die "Rentenökonomie" von Staat und Gesellschaft.

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Trump hat es einem mal wieder einfach gemacht: Seit der US-Präsident sein Votum abgegeben hat, ist zumindest wieder klar, wofür man in Venezuela nicht sein sollte. Die Anerkennung des 35jährigen Juan Gerardo Guaidó als Präsident wäre schon allein deswegen die schlechteste aller möglichen Lösungen, weil sie der rassistischen und ultraklassistischen Rechten den Weg bereiten würde.

Doch abgesehen davon ist die Situation tatsächlich völlig verfahren. Venezuelas Wirtschaft liegt am Boden, die Inflation ist so hoch, dass sie von der Regierung nicht einmal mehr gemessen wird, und der staatliche Ölkonzern PDVSA fördert wegen des Verfalls seiner Anlagen nur noch halb so viel Öl wie vor einem Jahrzehnt. Weil niemand von seinen Löhnen leben kann, engagiert sich die Bevölkerung außerhalb der Arbeit – im Schmuggel oder bei der Spekulation. Und die Subventionierung von Grundprodukten wiederum führt dazu, dass die Regale in Ost-Kolumbien voll sind mit Produkten, die der venezolanische Staat eigentlich für seinen BürgerInnen eingekauft hat.

Für die Situation verantwortlich gemacht wird Präsident Nicolás Maduro. Doch leider ist auch das weitaus vertrackter. Es stimmt, dass seine Regierung seit Jahren an jenen Mechanismen festhält, die das Chaos verschärfen: das System der Devisenvergabe und die Regulation der Preise für Nahrungsmittel und Benzin. Beide Instrumente sind nicht prinzipiell falsch: Mit der Devisenkontrolle wollte man spekulative Kapitalflüsse erschweren, mit der Vergabe von Vorzugs-Dollars die Nahrungsmittel billig halten und mit der Preisregulation die Macht der Handelsketten schwächen.

Doch wenn sich Nominalkurse zu weit von den Preisen auf der Straße entfernen, tritt das Gegenteil ein – dann schafft man Anreize für illegale Geschäfte. Der Benzinschmuggel nach Kolumbien ist heute lukrativer als der Drogenhandel. Gleichzeitig hat man eine neue ökonomische Schicht hervorgebracht. Jene Staatsangestellten, die die Devisen vergeben, sowie die Importunternehmer, die die Zuteilungen erhalten, können jedes Jahr Milliarden US-Dollar beiseite schaffen. Sie haben ein starkes materielles Interesse daran, dass sich an der Regierungspolitik nichts ändert.

Die Vorstellung, dass Präsident Maduro sich massiv bereichert, ist deshalb wahrscheinlich zu simpel. Vermutlich ist es profaner und komplizierter zugleich: Maduro kann an der Situation nichts ändern, weil jene Teile der Bürokratie, der Militärs, aber auch des privaten Unternehmertums, die von der Devisenvergabe und dem Schmuggel profitieren, ihn sonst stürzen würden.

Verzweifelt ist die Lage aber auch deshalb, weil das Problem dahinter struktureller Natur ist. Venezuela lebt seit einem Jahrhundert ausschließlich von der sogenannten „Erdölrente“. Zwar trat Präsident Chávez 1999 an, die Produktion und v.a. die Landwirtschaft zu fördern. Doch die Struktur der „Rentengesellschaft“ war stärker als alle revolutionäre Rhetorik. Am Ende beschränkte sich der Erfolg des Chavismo darauf, einen größeren Teil der Öleinnahmen für Sozialprogramme zu verwenden. In der Konfrontation mit der Opposition wurde aber selbst diese Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik nur ungenügend institutionell verankert. Die Programme wurden improvisiert, kreisten um die Figur des Comandante und dienten der kurzfristigen Mobilisierung politischer Unterstützung.

Solange die Rohstoffpreise hoch waren, ging die populistische Strategie einigermaßen auf. Doch strukturell blieb alles beim Alten: Nach 15 Jahren Chávez war Venezuela abhängiger vom Öl als vorher und die in Kampagnen „von oben“ gegründeten Genossenschaften und Modellbetriebe existierten nicht mehr. Im Rückblick ist der Chavismo den verhassten Regierungen der „IV. Republik“ denn doch erstaunlich ähnlich. Mit der Verteilung von Ölreichtum wurde politische Zustimmung erkauft. Der wesentliche Unterschied: In den 1970er Jahren konnte man mit einem liberalen Diskurs sozialdemokratische Verteilungspolitik machen; in den 2000er Jahren war dafür eine Revolution notwendig.

Hinter der Wiederkehr der alten Probleme steckt ein struktureller Zusammenhang: Die Ölökonomie bringt einen Staat hervor, in dem Fraktionen und Klientele um die Ölrente kämpfen. Das Projekt der Rechten beschränkt sich darauf, den Reichtum wieder auf „ihre“ Weise zu verteilen: durch mehr Privatisierung und eine enge Kooperation mit dem US-Finanzkapital (statt wie heute mit China und Russland). Wahrscheinlich würde die Rechte mit internationalen Krediten und Schockmaßnahmen zumindest die Inflation wieder unter Kontrolle bekommen und das Leid insofern lindern. Doch ansonsten wird ihr Programm ganz ähnlich wie das Bolsonaros in Brasilien ausfallen: Rohstoffrente und Finanzmarktgewinne für die alten (statt der neuen) Eliten – und ohne Sozial-Klimbim.

Was Venezuela – neben der sozialen und demokratischen Inklusion, wie sie die ersten Jahre des Chavismo auszeichnete – eigentlich benötigen würde, wäre ein langfristig angelegtes ökonomisches Projekt, das systematisch produktive Strukturen (statt des schnellen Konsums) und eine nachhaltige gesellschaftliche Organisierung statt hektischer Staatskampagnen fördert. Doch dem stehen mächtige Klasseninteressen entgegen: Die Klientelnetzwerke des Ölstaates haben schon unter Chávez Veränderungen zu verhindern gewusst.

Auch wenn Maduro stürzt – die zerstörerische Kraft der Rentenökonomie wird Venezuela erhalten bleiben.