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Ukraine (2021) - Der »neue« Kalte Krieg mit Russland - Eskalation ohne Ausweg?



Oktober 2021

Andreas Zumach ist freier Journalist, langjähriger UNO-Korrespondent der »taz« in Berlin, Experte für internationale Beziehungen und Friedensaktivist seit den 80er Jahren, (u.a. Sprecher des bundesweiten Koordinationsausschusses der Friedensbewegung), Mitglied im Koordinationskreis von »Sicherheit neu Denken«.

Teile des Vortrags erschienen beim INFOsperber: https://www.infosperber.ch/politik/welt/andreas-zumach-auf-der-krim-soll-das-volk-erneut-entscheiden/

Andreas Zumach: Auf der Krim soll das Volk erneut entscheiden!

Von: Rainer Simon

Es geht um den Verbleib in der russischen Föderation oder um eine ausgedehnte Autonomie innerhalb der Ukraine.

Neben diesen beiden genannten Varianten sollen die Bürgerinnen und Bürger auf der Krim als dritte Variante auch den alten Zustand der Zugehörigkeit zur Ukraine wählen können. Der langjährige Korrespondent bei der Uno in Genf und Spezialist für geopolitische Fragen, Andreas Zumach, ist «zutiefst frustriert», dass von keiner Seite konkrete Vorschläge kommen, wie man aus der Eskalationsspirale mit Russland herauskommt.

Zumach hält die im März 2014 erfolgte Abspaltung der Krim von der Ukraine und ihre Annexion durch Russland für völkerrechtswidrig. Daher dürfe man den Status Quo nicht einfach so akzeptieren, da dies ein bleibender Stachel in den Beziehungen innerhalb der Ukraine, zwischen der Ukraine und Russland sowie zwischen dem Westen und Russland bleiben werde. Nötig sei vielmehr ein «zwischen Russland und der Ukraine einvernehmliches Verfahren zur Lösung dieses Konfliktes».
 
Er stellt daher zur Diskussion, eine neue Abstimmung auf der Krim durchzuführen. Jedoch müsse diese Abstimmung unter anderen Rahmenbedingungen als im März 2014 stattfinden. Und die Bevölkerung der Krim solle nicht wie 2014 nur wählen können zwischen «alter Status Quo» oder «Abspaltung von der Ukraine und Beitritt zu Russland», sondern auch über andere Optionen. In einem Vortrag unter dem Titel «Russland und der Westen – Eskalation ohne Ausweg?» formulierte Zumach seinen Vorschlag wie folgt:

1. Die Abstimmung wird von der Uno oder der OSZE durchgeführt, überwacht und ausgezählt.

2.   Neben dem Verbleib zur Ukraine oder dem Verbleib in der russischen Föderation solle dem Volk mindestens die folgende dritte Option vorgelegt werden: Ein formeller Verbleib im Staat Ukraine, aber mit weitgehendster Autonomie. Diese müsste umfassen:

a. Sprachliche Autonomie: Amtssprache Russisch, gemäss der ca 58-prozentigen russischstämmigen Bevölkerungsmehrheit vorzugsweise sogar als erste Amtssprache;

b. Kulturelle Autonomie: russische Radio- und TV-Sender, Schulbücher, Strassenschilder etc.;

c. Adminstrative Autonomie: weitgehende Selbstverwaltung, keine hierarchisch-zentralistische Verwaltung durch Kiew;

d. Finanzielle Autonomie: Das Recht, Steuern einzuführen, deren Erträge im Autonomiegebiet verbleiben.

Falls das Volk auf der Krim sich nicht für eine solche Autonomie, sondern für einen Verbleib in der russischen Föderation entscheiden sollte, wäre die Abspaltung von der Ukraine auch völkerrechtlich einwandfrei anerkannt. 

Deutschlands dreifache besondere Verantwortung für ein gutes Verhältnis zu Russland

Dass die deutsche Bundesregierung sich weitgehend hinter das westliche Narrativ des «bösen Russen» stellt, ist für Zumach besonders anstossend, da doch gerade Deutschland aus drei Gründen eine besondere Verantwortung gegenüber Russland habe:  

Erstens forderte der vor 80 Jahren begonnene Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion im 2. Weltkrieg über 27 Millionen Tote in Russland und in anderen Sowjetrepubliken.

Zweitens: Wenn immer es in den letzten sechs Jahrhunderten Spannungen oder sogar Kriege zwischen Moskau/Sankt Petersburg und Berlin gab, wurde auch der ganze eurasische Kontinent zwischen Atlantik und Ural destabilisiert.

Drittens erwachse auch aus der aktuellen, höchst gefährlichen «Modernisierung von Atomwaffen» auf beiden Seiten eine besondere Pflicht zur Zurückhaltung und Deeskalation, nicht zuletzt auch aus Eigennutz, denn Deutschland läge im Falle einer militärischen Auseinandersetzung im Brennpunkt eines potentiell atomaren Konfliktes.


Anderer Vorschlag: Die Krim wird zum Mandatsgebiet der Uno

Gabriele Krone-Schmalz machte am 27. Oktober 2021 einen anderen Lösungsvorschlag, der ein historisches Vorbild hat: Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Saarland von Frankreich beansprucht, jedoch im Versailler Vertrag 1920 dem Völkerbund (der späteren Uno) unterstellt, aber unter französischer Verwaltung belassen. Nach 15 Jahren fand 1935 eine Volksabstimmung statt, bei der 90 Prozent der Bevölkerung sich gegen einen Verbleib bei Frankreich aussprach. 
Krone-Schmalz schlägt entsprechend vor, die Krim zum Mandatsgebiet der Uno zu erklären, völkerrechtlich bei der Ukraine zu belassen, Russland mit der Verwaltung zu betrauen und nach einer gewissen Frist eine Volksabstimmung über den Verbleib bei der Ukraine, über einen Übertritt zur russischen Föderation oder eine vollständige Selbständigkeit durchzuführen.