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»Die Menschen sind näher zusammengerückt«

Die Christen in Aleppo helfen bei der Versorgung der Menschen in der Stadt mit.

Ein Interview von Karin Leukefeld mit Abou Khazen.

Bischof Georges Abou Khazen ist Franziskaner. Er leitet das Lateinische Vikariat in Syrien, das seinen Sitz in Aleppo hat. Mit anderen christlichen Vertretern in Syrien ruft er Europa auf, Syrien durch Dialog zu helfen und keine Waffen zu schicken.

Sie stammen aus dem Libanon, sind aber seit Anfang der 2000er Jahre in Aleppo. Wie ist das Leben dort?
Wie Sie wissen, ist Aleppo heute eine geteilte Stadt. Ungefähr die Hälfte der Stadt ist von den Dschihadisten besetzt, die andere Hälfte wird von der syrischen Armee kontrolliert. Wir leben in den Vierteln, die von der Regierung kontrolliert werden. Aber das heißt nicht, dass wir dort sicher sind. Täglich gibt es Angriffe mit Raketen, Mörsergranaten und von Scharfschützen. Täglich werden Wohnungen, Häuser, Kirchen und Moscheen zerstört. Täglich sterben Menschen, entweder in ihren Wohnungen oder wenn sie auf der Straße unterwegs sind. Sie sterben in den Schulen, in den Kirchen, in den Krankenhäusern.

Wie steht es um die Versorgung, gibt es Strom und Wasser?
Wir waren einige Monate ganz ohne Strom. Dann gab es etwa drei Stunden Strom täglich, nun habe ich gehört, dass es seit einigen Tagen wieder keinen Strom gibt. Die Wasserversorgung war früher kein Problem, wir wurden mit Wasser aus dem Euphrat versorgt. Nun ist Wasser immer knapp. Die Dschihadisten haben die Versorgung komplett unterbrochen, das letzte Mal dauerte es 45 Tage. Gott sei Dank haben die Kirchen und die Moscheen Brunnen, mit denen wir die Menschen versorgen können.

Wie viele Menschen leben dort, wo leben sie?
Genaue Zahlen habe ich nicht. Anfangs waren viele Menschen in Schulen untergebracht, die meisten von ihnen haben die Stadt wieder verlassen. Die geblieben sind, leben in Hausruinen, in Rohbauten oder in Wohnungen, die verlassen wurden. Der Syrische Arabische Rote Halbmond und die Flüchtlingshilfe der Jesuiten versorgen diese Menschen täglich mit warmen Mahlzeiten, die in Großküchen gekocht werden. Dabei helfen wir auch, aber mehr als 30 Prozent unserer Gemeindemitglieder sind gegangen.
Wir können das niemandem vorwerfen, das Leben ist schwer. Es gibt keine Arbeit, immense Inflation, die Sanktionen erwürgen uns zusätzlich zum Krieg. Was soll ein Familienvater tun? Die Menschen wollen ihre Kinder in Sicherheit bringen. Es ist sehr, sehr traurig. Vor allem die jungen Leute gehen, die in Syrien eine gute Ausbildung erhielten. 35.000 Ärzte und Mediziner haben seit 2011 Syrien verlassen! Natürlich fehlen sie uns. Zurück bleiben die Alten und Menschen, die Hilfe brauchen. Wir kümmern uns um sie.

In Deutschland wird den Christen in Syrien häufig vorgeworfen, sie unterstützten mit Präsident Baschar Al-Assad einen Diktator, der sein eigenes Volk abschlachte. Was sagen Sie dazu?
Ist er wirklich ein Diktator? Vielleicht ist er nicht der demokratischste Präsident, aber wer Syrien kennt, der weiß, dass er vor dem Krieg niemanden getötet hat. Als Präsident ist es seine Pflicht, das Volk zu verteidigen, und genau das tut er.
Ich kenne diese Vorwürfe, dass wir Christen das Regime stützen würden. Uns geht es nicht um seine Person, uns geht es um Syrien. Dieser Präsident repräsentiert das Land, er repräsentiert einen moderaten, laizistischen, pluralistischen Staat, in dem zwei Dutzend religiöse und ethnische Gruppen miteinander lebten. Diese Werte verteidigt er, und das wollen wir auch. Sollten diese Werte in Syrien nicht mehr gelten, werden wir nicht mehr dort leben können. Wir bevorzugen eine Regierung mit einer harten Hand anstatt Chaos und Zerstörung, wie wir es in Libyen und im Irak sehen.

Wie verändert der Krieg die Gesellschaft?
Die syrische Gesellschaft wird nicht mehr so sein wie früher, soviel ist sicher. Manche Menschen sind sehr schlecht, sehr selbstsüchtig geworden. Sie profitieren von dem Krieg, sie verdienen an der Not anderer. Aber gleichzeitig erleben wir, wie viele Menschen große Solidarität zeigen. Sie helfen einander, sie sind viel näher zusammengerückt. Diese Menschen vertreten Syrien, wie es hoffentlich in Zukunft sein wird.
Es gibt mehr als 500 lokale Waffenstillstände in Syrien. Die Menschen suchen einen Weg der Versöhnung, und der Staat unterstützt das, indem er den Kämpfern eine Amnestie anbietet. Das gilt natürlich nicht für die ausländischen Kämpfer, die gegen alles sind, die Syrien nicht kennen und es nur zerstören.

Erschienen in: Junge Welt, Dienstag 7. Juni 2016