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Redebeitrag zum Antikriegstag von Dr. Marianne Hornung-Grove

Liebe Friedensfreunde und Freundinnen,
wie in jedem Jahr am 1. September so stehen wir auch heute hier am Mahnmal für die Opfer des Faschismus und erinnern daran, dass Deutschland an diesem Tag vor 77 Jahren mit dem Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg begann. Am Antikriegstag der Toten zu gedenken und die Lebenden zu mahnen, ist für uns als Mitglieder der Friedensbewegung ein notwendiges und selbstverständliches Ritual:
Denn die Gegenwart hat eine lange Vergangenheit und die Zukunft beruht auf der Gegenwart.
Zur Vergangenheit:
Der 2. Weltkrieg führte zu schweren Traumatisierungen bei den überfallenen Völkern, den Überlebenden des Holocaust aber auch bei den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Kriegskinder wie ich haben heute noch den Ton der sich den Großstädten nähernden Bombergeschwader, der Sirenen und des Abwurfs der Bomben in den Ohren – und in der Seele.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass nicht nur die Generation der Kriegskinder traumatisiert wurde. Der Psychoanalytiker Bohleber stellt fest, dass traumatisches Erleben, Schuld , Scham und die Erbschaft der NS-Ideologie ein komplexes Geflecht bildeten, das in seinen Auswirkungen nicht auf die eigentlich davon betroffene erste Generation beschränkt blieb, sondern auch auf die nächste Generation übergriff und so die Kinder der Kriegskinder zum Container für das unverarbeitete Leid und die Traumatisierungen, für abgewiesene Schuld und Verantwortung ihrer Eltern sowie für nicht aufgegebene Bestandteile der NS-Ideologie wurden. Inzwischen weiß man, dass diese generationenübergreifende Weitergabe auch die Enkel der Kriegskinder belastet.
Damit komme ich zur Gegenwart:
Sicher ist zu einfach, darin die alleinigen Gründe für das Erstarken der Rechten in Deutschland zu suchen, zumal dieses Phänomen nicht auf unser Land begrenzt ist sondern ganz Europa betrifft. Aber auch wenn wir von den Verhältnissen der Weimarer Republik sehr weit entfernt sind, so darf nicht verkannt werden, dass der von der rechten „Identitären Bewegung“ am letzten Samstag am Brandenburger Tor angebracht Slogan „Sichere Grenzen- Sichere Zukunft“ bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft zustimmungsfähig ist. Die Angst vor allem Fremden, die Abwehr des Anderen hat wieder Konjunktur in unserem Land seit der sogenannten Flüchtlingskrise, die in Wirklichkeit keine durch die Flüchtlinge sondern durch unsere hegemoniale Lebensweise hervorgerufene Krise ist. Dieser können und dürfen wir nicht durch eine Einmauerung und Abschottung Europas begegnen. Und der vor 75 Jahren erfolgten Überfall auf die Sowjetunion sollte es verbieten, die Nato in den baltischen Staaten konfrontativ zu verstärken.
Innenpolitisch wird Sicherheit nicht durch zur Beeinflussung von Landtagswahlen erhobenen Forderungen wie das Fortschreiben von Vorschriften über Notvorräte und schon gar nicht durch Planspiele für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren gewonnen. Erinnert sei daran, dass gerade die strikte Trennung von Streitkräften und Polizei auf den leidvollen Erfahrungen der NS-Zeit beruht. Und Emanzipation und Integration muslimischer Frauen wird nicht durch Kleiderordnungen gefördert..
Was ist zu tun, um in der Gegenwart solche Weichen für die Zukunft zu stellen, die die Lehren aus der Vergangenheit beherzigen?
Angst ist eine schlechte Ratgeberin und Sicherheit nicht unser höchstes Gut, sondern Freiheit. Damit meine ich nicht die neoliberale Vereinzelung nämlich „ zu Tun und zu lassen, was mir beliebt und nützt“, sondern eine in einer offenen, demokratischen, rechten Ideen selbstverständlich abholden Gesellschaft mit anderen gelebte Solidarität, die allen und natürlich auch den MigrantInnen Teilhabe an unserer Gesellschaft und ein Höchstmaß an Freiheit ermöglicht, letzter natürlich immer begrenzt durch die Freiheit der anderen. Nur so kann Integration gelingen. Das zeigen im Übrigen die vielen von ehrenamtlichem Engagement getragen Initiativen auch in unserer Stadt. Es macht Mut, wenn im Flüchtlingscafe an der Frankfurter Straße Muslima mit oder ohne Kopfbedeckung Deutsch lernen und junge muslimische Männer nach Abschluss des Cafebetriebes die Küche aufräumen.
Und der Frieden, der weltweit weiter entfernt zu sein scheint als je zuvor?
Nach Karl Marbe, der während der Nazidiktatur ein erst kürzlich lang nach seinem Tod erschienenes Werk über das Phänomen der Psychologie der Massen verfasste, hat Hitler sofort nach 1933 eine großzügige und sehr erfolgreiche Reklame zugunsten seiner Partei inszeniert. Auf die Frage , wie Kriege sich angesichts dieser psychologischen Mechanismen und der Tatsache, dass es keinen Fortschritt in der menschlichen Moral gäbe, verhindern ließen, hat er eine verblüffende Antwort: Da die Menschen mit Leichtigkeit aber so oder so einstellbar seien, wäre eine erfolgreiche pazifistische Einstellung (auch ohne die betrügerischen Versprechungen und Brutalitäten der Nazi ) sehr leicht möglich.
Dieser Schluss mag sich zu einfach anhören. Die Botschaft ist jedoch, dass es sich lohnt in all unseren Lebenszusammenhängen „Reklame“ für den Frieden, für eine Welt ohne Kriege zu machen, so wie wir am Antikriegstag 2016 hier heute früh am Mahnmal stehen und heute Nachmittag am Friedrichsplatz präsent sein werden. Denn die Verwirklichung jeder realen Utopie wie der des Weltfriedens – und diese lassen wir uns nicht ausreden - beginnt mit kleinen Schritten.