"Diese Waffen sind das Böse schlechthin"
Martin Schindehütte, Bischof i.R.Redebeitrag zum Gedenktag der Abwürfe von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
Kassel, 9. August 2018
Wir gedenken heute der Abwürfe von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Die Lichterketten, die Sie gebastelt haben, erinnern an die Ofer, die unmittelbar umkamen und an die vielen Opfer bis heute, die an den Folgen leiden und sterben. Die Lichterketten sind aber auch Ausdruck unserer Hoffnung, dass diese furchtbaren Waffen geächtet und abgeschafft werden.
Die Explosionen forderten mehrere Hunderttausend Opfer unter der Zivilbevölkerung: Frauen und Kindern, Senioren, Kranke und Kriegsgefangene.
Wada und ihre Mutter überlebten, weil ein Hügel zwischen ihrem Haus und dem Zentrum des Atompilzes stand. "Meine Mutter kochte das Mittagessen und ich spielte am Boden, als wir um elf Uhr vormittags plötzlich den Lärm einer Detonation hörten. Die Druckwelle brach Fenster und Türen in Stücke. Ein Sturm aus Asche bedeckte den Fußboden unseres Hauses mit einer 30 Zentimeter dicken Staubschicht. Wir sahen, dass die Landschaft um uns herum plötzlich braun und in orange-gelben Nebel gehüllt war. Dann erkannten wir einen Strom von Menschen, die sich mühsam über den Hügel schleppten, um dem Feuer auf der anderen Seite zu entkommen. Ihre Körper waren schwarz, verbrannt und blutverklebt, ihre Haare standen wie Hörner in die Höhe."
Wadas Familie und ihre Nachbarn konnten nichts tun, als die Heerscharen von Opfern beim qualvollen Sterben zu begleiten und die Toten zu verbrennen. Die Hibákusha - so werden die Überlebenden in Japan genannt - machten es sich seither zur Lebensaufgabe, die Öffentlichkeit vor Nuklearwaffen zu warnen.
Der Friedensnobelpreis 2017 für ICAN, die „Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“, würdigte nicht zuletzt auch ihr Engagement. Stellvertretend für alle Hibákusha nahm ihn die Japanerin Setsuko Turlow in Oslo entgegen. Sie war 13 Jahre alt, als die Atombombe ihre Schule in Hiroshima traf. 351 Mitschülerinnen starben, so Setsuko. Sie selbst wurde von herabstürzenden Mauerteilen vor der Feuersbrunst im Zentrum der Explosion geschützt.
"Ich sah eine unvorstellbare Verwüstung und grauenvoll verwundete Menschen: Sie bluteten, brannten, Teile ihrer Körper waren zerfetzt. Fast alle Opfer waren Zivilisten. Leider wollen manche Leute diese Atombombenabwürfe bis heute nicht als das sehen, was sie waren: Kriegsverbrechen. Der Besitz von Nuklearwaffen macht eine Nation nicht groß, sondern lässt sie zurückfallen auf die tiefste Stufe. Denn diese Waffen sind kein notwendiges Übel, sie sind das Böse schlechthin." So Ihr Votum in Oslo.
Ich spreche zu Ihnen auch als ein Vertreter der Kirche. Ich sehe es als berufliche und meine Lebensaufgabe an, für den Frieden zu arbeiten und zu streiten. Seit den Demonstrationen gegen die Nachrüstung Anfang der 80-Jahre – ich war damals Pfarrer in Kassel - ist in den Kirchen viel passiert. Wir positionieren uns heute eindeutig:
Der Weltkirchenrat in Genf, der ein breites Spektrum evangelischer und orthodoxer Kirchen vertritt, beschloss schon vor Jahren ökumenisch einvernehmlich, gegen Nuklearwaffen vorzugehen. Auch er gehört heute zu ICAN. Das internationale Büro von ICAN befindet sich im ökumenischen Zentrum in Genf. Ich bin dankbar dafür, in meiner aktiven beruflichen Zeit als Mitglied des Exekutivausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen auf diese Zusammenarbeit mit hingewirkt zu haben.
Generalsekretär Olav Fykse Tveit, betonte im Januar 2018 gegenüber dem Weltwirtschaftsforum in Davos: "Leider gab es früher immer wieder Christen und Kirchenvertreter, die den Aufbau nuklearer Arsenale unterstützt haben - einige schweigend, andere ausdrücklich. Man erhoffte sich von der nuklearen Abschreckung Schutz. Doch zu einer wirkungsvollen Abschreckung gehört letztlich die Bereitschaft, die Nuklearwaffen im Ernstfall auch einzusetzen. Und genau das ist der entscheidende Punkt. Hier müssen wir heute sagen: Den Einsatz auch nur einer einzigen Atomwaffe in Betracht zu ziehen, ist mit einem christlichen Verantwortungsbewusstsein unvereinbar."
Diese Haltung entspreche ganz der Position der katholischen Kirche, versichert Bischof Silvano Tomasi. Er vertrat den Vatikan bis 2017 bei der UNO und förderte den neuen Anti-Atomwaffen-Vertrag von Anfang an.
"In der kirchlichen Soziallehre gibt es seit langem eine deutliche Position: Schon zur Zeit der Entwicklung der ersten Atombomben sagte Papst Pius XII, dass solche Waffen der Massenvernichtung ethisch nicht vertretbar sind. Johannes XXIII hat diese Linie fortgesetzt. 1963 betonte er nach der Kuba-Krise in der Enzyklika 'Pacem in terris', 'Friede auf Erden', dass wir dringend für die Abschaffung aller Nuklear-Waffen eintreten müssen."
Papst Franziskus steht in dieser Tradition. Ende 2017 bekräftigte er gegenüber den Teilnehmern einer internationalen Nuklear-Konferenz im Vatikan:
"Wir müssen uns klarmachen, dass die Konsequenzen des Einsatzes von Nuklearwaffen für die Menschheit und die Umwelt katastrophal wären. Zudem besteht die Gefahr, dass eine dieser Waffen durch einen Irrtum oder Fehler explodiert. Die Existenz von Nuklearwaffen ist die Folge einer Logik der Angst und gefährdet nicht nur die jeweiligen Konfliktparteien, sondern die gesamte Menschheit. Der Einsatz solcher Waffen ist daher ebenso entschieden zu verurteilen, wie die Drohung mit ihnen und ihr Besitz."
So überzeugend die Argumente gegen Nuklearwaffen sind, so apokalyptisch das Szenarium ist, das ihr Einsatz auslöst: Die Zahl der Staaten, die solche Waffen besitzen, wächst. Und nicht nur das: Die Atomwaffen-Staaten, - allen voran die USA und Russland -, treiben das atomare Wettrüsten heute neu voran und investieren mehrstellige Milliardenbeträge in die Modernisierung und Erweiterung ihrer Nuklearwaffen-Arsenale.
Nur knapp ein Prozent des Geldes, das weltweit in Militäretats geht, steht für Entwicklungshilfe und humanitäre Projekte zur Verfügung. Das kritisiert auch der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm:
"Wenn man sich vorstellt, wie viel Mal die Welt vernichtet werden kann, mit dem jetzt immer noch vorhandene Bestand von Atomwaffen, dann kann man eigentlich schnell sehen, dass das nicht zu rechtfertigen ist, auch von der Verteilung der Mittel her, dass man Geld in solche Todeswaffen steckt, das dringend für die Verbesserung des Lebens der Menschen, insbesondere der Schwächsten gebraucht würde."
Ich spreche als Christ zu Ihnen. Gestatten Sie mir also auch einen biblischen Blick auf die Bedrohung durch Krieg und Gewalt:
Jesus sagt in der Bergpredigt:
Ich aber sage Euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen ...
Gegen verfestigte Feindbilder und den Teufelskreis von Hass und Gewalt bekennen und glauben wir in der Nachfolge Jesu Christi an die Überwindung von Feindbildern und Hass. Deshalb stehe ich hier und sage mir selbst und Ihnen allen:
Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Gegen den ewigen Teufelskreis von Stärke und Abschreckung und die daraus erwachsende Aufrüstung bekennen und glauben wir in der Nachfolge Jesu Christi an Auswege aus diesem Kreislauf und glauben auch an die Verletzlichkeit von Verhandlungen und Kompromissen.
Jesus sagt auch:
Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab..
Gegen eine Haltung und Politik des „Amerika first, Deutschland first oder gar Bayern first“, gegen eine Abschottung unserer Herzen und des europäischen Kontinents bekennen und glauben wir in der Nachfolge Jesu Christi an die Barmherzigkeit, an Überwindung von Grenzen und eine solidarische Gesellschaft.
Und ich höre sie schon: die Stimmen, die sagen: wie naiv ist das denn? Ich höre sie sagen: Es gibt nun mal Feinde, die uns Böses wollen und unsere Schwäche ausnutzen würden. Es gibt nun mal Menschen und Nationen, die nur auf Stärke und Druck reagieren. Es gibt nun mal ein „Zuviel“ an Flüchtlingen in unserem Land.
Dann halte ich mich immer noch an Jesus Christus
und glaube seinem „Ich aber sage euch“ mehr als den „Abers“ der sogenannten Realisten.
Ich sage es andersherum: Wie naiv ist das denn? Zu meinen, die Welt würde friedlicher, wenn Feindbilder geschürt und Nationen, Machthaber und Religionen dämonisiert und zu Achsen des Bösen stilisiert werden? Wie naiv ist das denn, zu meinen, durch Aufrüstung und Billionen an Ausgaben für Waffen würde es tatsächlich friedlicher auf dieser Erde? Diese Politik folgt einer alten, längst überholten Ideologie. Und wie naiv ist das denn, zu meinen, durch Abschottung Europas wären irgendwelche Probleme gelöst – bei uns oder in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.
Und wie naiv ist alles zusammen, wenn doch dadurch Ressourcen verschwendet werden, die wir für die Lösung der wahren Probleme dringend bräuchten! Nein, ich lasse mir keine Naivität vorwerfen, wenn ich der Logik und der Herausforderung der Bergpredigt Jesu folge – wenn ich dem „Ich aber sage euch“ Jesu mehr glaube als den „Abers“ der vermeintlichen Realisten.
Und keiner von uns, die wir hier sind, ist doch so naiv, zu meinen, wir lebten in einer perfekten Welt und es sei ganz einfach mit dem Frieden. Nein, wir alle wissen sehr genau, dass es harte Arbeit bedeutet, auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens die nächsten Schritte zu gehen – und dass dieser Weg immer bei uns selbst beginnt.
Und warum, liebe Mitstreiter, warum sollten wir daran zweifeln, dass es auch gelingen kann, die Atomwaffen zu ächten, zu verbieten und abzuschaffen. Wir wissen doch auch, dass damit noch nicht alle diese Waffen und alle Gefahren verschwunden sind. Aber was mit den B und C - Waffen gelungen ist, muss auch mit den Atomwaffen durchgesetzt werden. Wer sie besitzt, mit ihnen droht oder gar einsetzt, begeht ein Verbrechen gegen die Menschheit.
„Liebet eure Feinde!“ sagt Jesus und vertieft sozusagen damit noch einmal unser politisches Handeln für den Frieden. „Liebet eure Feinde!“ geht an die Wurzel allen Übels, geht auf den Grund menschlichen Zusammenlebens. Er sagt ja nicht: Jetzt komme ich und es gibt keine Feinde mehr! Jesus ist Realist! Er weiß um unsere menschlichen Schwächen und darum, dass wir immer wieder in alte Muster zurückfallen. Deshalb sitzen diese Worte wie ein Stachel im Fleisch, steht wie ein Leuchtfeuer an der Küste oder wie ein Gebotsschild auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens.
Die Abschaffung der Waffen, auch der Atomwaffen, Abrüstung und ein Ende der Gewalt gelingen nur in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der Interessen aller. Das gilt für unser ganz persönliches Umfeld genauso wie für die große Politik.
Daran zu arbeiten, ist tägliches Gehen auf dem Pilgerweg, auf den wir gerufen sind.
Jesus ist Realist! Er sagt: es kann gelingen! Frieden ist möglich! Ja, er ist schon da! In ihm und in den vielen Menschen, die dafür auf dem Weg sind.