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Die syrischen Kurden

Oktober / November 2019

Zusammenfassung aus Presseberichten:

Vertreibungen und Krieg

Der Abzug der US-Truppen im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei hat den Einmarsch der türkischen Armee ermöglicht. Die Türkei sieht in der PYD einen Ableger der PKK (1) und scheint für die USA der wichtigere Bündnispartner zu sein. Nach kurdischen Angaben sollen inzwischen 300.000 Menschen vertrieben worden sein.
Die Bodentruppen der türkischen Armee werden durch Söldner der syrischen Rebellen unterstützt, die in der Regel zu radikal islamistischen Gruppen gehören (2) und brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen.

Beim Einmarsch in Afrin im Januar 2018 haben sie unvorstellbare Verbrechen begangen. Morde, Entführungen, Verhaftungen, Plünderungen und Ernteraub gehörten zum Kriegsalltag. Geflüchtete aus Afrin berichten, dass dort die Scharia ausgerufen wurde. In Afrin siedelt Erdoğan gezielt Mitglieder sowohl von syrischen als auch türkischen Milizen an, um durch diesen Bevölkerungsaustausch die Rückkehr der ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner zu verhindern. (3)

Mit dem aktuellen Einmarsch nach Syrien wollte Erdogan eine türkisch kontrollierte Pufferzone einrichten und somit die wichtigsten kurdischen Zentren, wie auch die Stadt Kobane besetzen. (4) Hierbei ging es der türkischen Regierung nicht nur um die Vertreibung der kurdischen Milizen, sondern auch um die Änderung der Bevölkerungszusammensetzung. Ibrahim Kalin, der Sprecher Erdogans, hatte offen eingeräumt, die Demographie verändern zu wollen, indem Flüchtlinge aus Syrien in der Pufferzone angesiedelt werden. (5)

Nach Verhandlungen zwischen Syrien, Russland und der Türkei soll nun gemäß der Vereinbarung von Sotschi die Türkei die direkte Kontrolle über einen 120 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten eroberten Grenzabschnitt zwischen Ras al-Ain und Tal Abjad zunächst behalten. Das Grenzgebiet östlich und westlich davon soll nach dem Abzug der YPG von der russischen Militärpolizei und der syrischen Armee kontrolliert werden. In einem zehn Kilometer breiten Streifen soll es russisch-türkische Patrouillen geben. (6)

In der Türkei leben derzeit 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge. Das setzt Erdogan unter Druck. Nachdem unter anderem in Istanbul und Ankara die Kommunalwahlen verloren wurden und die Wirtschaft abflaut, gilt er als angeschlagen. Der Unmut in der Bevölkerung über die syrischen Flüchtlinge wächst. (7)

Erdogan droht immer wieder das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen und die Grenzen zur EU, insbesondere zu Griechenland für die Geflüchteten zu öffnen. Wenn die EU, vor allem auch Deutschland bereit wäre, für die Folgen des Krieges in Syrien Verantwortung zu übernehmen, könnte die türkische Regierung die Geflüchteten nicht für ihre Machtpolitik missbrauchen.

Die Umsiedlung der syrischen Geflüchteten aus der Türkei nach Rojava birgt ein weiteres Konfliktpotential für die Region Nordsyriens.

Um den Geflüchteten zu helfen sollte die EU die Sanktionen gegen Syrien sofort beenden, den Wiederaufbau des Landes voranbringen und alle Menschen, die in ihrem Land noch keine Perspektive sehen, aufnehmen und integrieren.
Wenn bei uns im Land Fachkräfte fehlen, wäre es eine gute Maßnahme die Geflüchteten auszubilden.

IS-Kämpfer geflohen

Zudem werden durch den Abzug kurdischer Kämpfer an die Front, die IS-Gefangenenlager unzureichend bewacht, so dass bereits zahlreiche IS-Kämpfer fliehen konnten, was auch zur weiteren Destabilisierung beitragen könnte. (8)

Die Selbstverwaltung Rojava

Mit einer Eroberung Rojavas wird der dort seit mittlerweile sechs Jahren voranschreitende Demokratisierungsprozess zerstört. Die Selbstverwaltung Nordsyriens war nie und ist auch heute keine bloß kurdische, sondern eine multiethnische und multireligiöse Selbstverwaltung. Unter den widrigen Bedingungen einer vom Krieg verwüsteten Region können ihre Bürgerinnen und Bürger frei ihren Ansprüchen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität folgen. Es gab und gibt demokratische Wahlen, die Medien haben mehr Rechte als in den anderen Teilen Syriens. Die Bemühungen um den Aufbau einer Basisgesundheitsversorgung sind außerordentlich und gelten auch den mehreren hunderttausend Menschen aus Syrien und dem Irak, die dort Zuflucht gefunden haben. Im Unterschied zu den anderen Kriegsparteien in Syrien hat sich die nordsyrische Selbstverwaltung Vorwürfen von Menschenrechtsverbrechen gestellt und sich auf internationale Prozesse ihrer Überprüfung eingelassen. (9)

Trotz widriger Umstände erzielte die PYD beachtenswerte Fortschritte: Der Verkehr wird von eigenen Polizist*innen geregelt, die Müllabfuhr ist regelmäßig unterwegs, sogar eine Universität hat in Qamischli ihren Betrieb aufgenommen – ein Novum in den Gebieten, in denen die kurdische Bevölkerung die Mehrheit stellt. Das Wirtschaftsmodell soll umgekrempelt werden: Kooperativen statt kapitalistische Unternehmensstrukturen. Im Alltag der Stadt ist davon nicht viel zu spüren. Die meisten Einwohner*innen zucken fragend mit den Schultern, wenn sie nach ihrer Meinung zum Kooperativenmodell gefragt werden. Allen bekannt sind hingegen Maßnahmen, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. (10)

Die USA, die Türkei und die syrischen Kurden

Schon zu Beginn des Syrien-Krieges hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Seite der Regime-Change-Anhänger gestellt. Dabei standen seine eigenen geostrategischen Interessen immer im Vordergrund. Zu diesem Zweck hat er dschihadistische Islamisten finanziell, politisch, militärisch und logistisch gefördert und tut dies bis heute. Insbesondere die IS-Kämpfer sind vor allem über die Türkei nach Syrien gekommen. (11)

Auch die Waffenlieferungen für die syrischen Rebellen im Syrienkrieg, die zu einem großen Anteil letzendlich doch zu den radikalen Islamisten gelangten, wurden problemlos im großen Maßstab über die Türkei abgewickelt. Verantwortlich für die Waffeneinkäufe waren Saudi-Arabien und Katar. Bei der Auslieferung halfen die türkische, jordanische und amerikanische Regierung den Golfstaaten. (12) Ab 2014 lieferten die USA auch direkt Waffen ins Kriegsgebiet. (13)

Den USA ging es nie um Demokratie, sondern um die Durchsetzung der eigenen geostrategischen Interessen. Waffenlieferungen haben den Krieg in Syrien von Anfang an befeuert. Ohne Einmischung von außen hätte es keinen derartig ausgeweiteten Bürgerkrieg mit hunderttausenden Toten gegeben. Nach Angaben von UNICEFF starben in diesem Krieg mehr als 350.000 Menschen, andere Schätzungen gehen bis zu 500.000 Todesopfern aus. Rund die Hälfte der Bevölkerung musste fliehen und die Bevölkerung lebt bis heute in großer Armut und leidet zudem unter den Sanktionen des Westens. (14)

2014 benötigten die Kurden gegen den angreifenden IS im Kampf um Kobane die militärische Unterstüzung der USA und gingen deshalb ein sogenanntes taktisches Bündnis mit dem US-Militär ein. Das hat den Einmarsch der Türkei im Kanton Rojava bis Mitte Oktober 2019 verhindert. In der Folge rückten die kurdischen Truppen JPG/ JPJ, die dominierend im Verbund der "Demokratische Kräfte Syriens" (SDF) sind, mit Unterstützung der USA im Kampf gegen den IS in nicht kurdische Gebiete bis an die irakische Grenze vor. Sie ermöglichten so den USA im Gebiet östlich des Euphrats Militärstützpunkte aufzubauen. In diesem Gebiet befinden sich die Wasserreserven, die Kornkammer und die Erdölquellen Syriens.

Das bedeutet faktisch, dass Syrien seinen Einfluss auf die wichtigsten Ressourcen des Landes verloren hat. Die Teilung des Landes wurde durch die Eroberungen des SDF eingeleitet, obwohl die syrischen Kurden immer wieder bekräftigten zum syrischen Staat zu gehören.
Joachim Guilliard schreibt dazu: (…) der Kampf gegen den IS im Osten wäre wesentlich effektiver gewesen, hätten die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) nicht gemeinsam mit der US-Luftwaffe die syrische Armee daran gehindert, in Raqqa und Umgebung gegen den IS vorzugehen, statt die eigenen Kräfte mit ihr zu vereinen. (15)

Wie syrische Staatsmedien melden, hat sich nun das Blatt gewendet. Syrische Soldaten sind in Tall Tamar, Tabka nahe Rakka, Ain Issa und weiteren von Kurden bewohnten Orten eingerückt. Laut Fernsehberichten warfen Einwohner ihnen Blumen zu. (16)

Doch der Konflikt zwischen den USA und Syrien ist noch nicht ausgestanden. Das Pentagon plant zusätzliche militärische Kräfte in den Südosten Syriens zu schicken, um die Ölfelder zu kontrollieren. (17) Die letzte Information ist, dass die Öleinkünfte an die kurdisch geführten Syrisch Demokratischen Kräfte (SDF) gehen sollen, die im Gebiet von Deir ez-Zor ihre Verwaltung installiert haben und somit über die Ölgewinnung verfügen. Nachdem die Kurden in Rojava von den USA fallen gelassen wurden, ist nun bekannt geworden, dass der kurdische SDF-Kommandant, Mazlim Abdi, vor wenigen Tagen in einem Tweet bestätigte, dass er sich erneut auf einen Deal mit den USA eingelassen hat. Es ist ein unglaublicher Spagat: Im syrisch-türkischen Grenzgebiet lassen sich die Kurden von syrischem und russischem Militär vor türkischen Angriffen schützen, im Südosten im Gebiet von Deir ez-Zor hingegen verhindern sie gemeinsam mit dem US-Militär, dass das kriegszerrüttete Syrien seine Ölquellen nutzen kann.

Ziel der USA ist es nach wie vor, die syrische Regierung weiter zu schwächen, einen Regimechange zu erwirken und somit auch den Einfluss des Irans zu verringern. (18)

14. 11. 2019, B. Malzahn

Weitere Information: Wer kämpft gegen wen? Ein Bericht der DW

Quellen:

1- https://www.tagesschau.de/ausland/nordsyrien-krieg-akteure-101.html

2- https://www.welt.de/politik/ausland/plus201668720/Militaeroffensive-Syrien-Erdogan-setzt-radikale-Islamisten-gegen-Kurden-ein.html

3- https://www.freitag.de/autoren/cbozdogan/wir-koennen-uns-viel-von-rojava-abgucken

https://www.heise.de/tp/features/Afrin-ein-Jahr-unter-tuerkischer-Besatzung-4282712.html?seite=all

4- https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/eine-invasion-waere-eine-katastrophe-die-angst-der-kurden-vor-einem-tuerkischen-einmarsch-in-syrien/24913242.html

5- https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-recep-tayyip-erdogan-will-in-den-krieg-gegen-die-kurden-ziehen-a-1290532.html

6- https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/nordsyrien-tuerkei-kurden-abzug-russland-patrouillen-gefechte-truppen-militaer-tote
7- https://www.tagesspiegel.de/politik/demonstration-neuer-us-politik-in-syrien-ermoeglichen-die-usa-einen-tuerkischen-einmarsch-in-die-kurdenregion/25092348.html

8- https://www.tagesspiegel.de/politik/aus-lager-in-nordsyrien-kurden-melden-flucht-von-fast-800-is-sympathisanten/25111964.html

9- https://www.medico.de/kampagnen/die-katastrophe-verhindern/?fbclid=IwAR3z_7qf3bMMrPTS2STdDlhY1xFFRAfMAIdUvzOwtIamz7BQW0Kq-INh3UI

10- https://www.rosalux.de/publikation/id/39688/eine-halbe-revolution-in-nordsyrien/

11- https://www.freitag.de/autoren/cbozdogan/wir-koennen-uns-viel-von-rojava-abgucken
https://www.heise.de/tp/features/Idlib-Das-Spiel-der-Tuerkei-mit-den-Dschihadisten-4434364.html

12- https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-cia-hilft-saudi-arabien-bei-waffenlieferungen-an-rebellen-a-890754.html

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/syrien-der-westen-ist-schuldig-12314314.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

13- https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-usa-liefern-waffen-an-rebellen-a-945886.html

14- https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-syrische-Zivilbevoelkerung-unter-den-EU-Sanktionen-leidet-3695626.html?seite=all

15- https://www.rubikon.news/artikel/kurden-im-zwielicht

16- https://www.dw.com/de/syrische-truppen-stehen-vor-t%C3%BCrkischer-grenze/a-50822828

17- https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/syrien-usa-regierung-soldaten-oelfelder-schutz

18- https://www.derstandard.de/story/2000111029410/us-truppen-weiter-in-nordsyrien-als-donald-trump-syriens-oel