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Ostermarsch 2022


Ostermarschimpressionen und Redebeiträge am Obelisken von Stefan Nadolny (Pfarrer in der Brüderkirche), Stephanie Schury (Stadtverordnete) und Rolf Becker (Schauspieler)

Stefan Nadolny:

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

sollte Deutschland der Ukraine Waffen liefern? Und mehr und schwere Waffen?

Das Leid der Menschen ist furchtbar, das Leid jedes und jeder Einzelnen, die getötet werden, verletzt werden, Invaliden werden. Die Angehörige verlieren und ihre Heimat. Die das Leid nicht verarbeiten können und den Schmerz und die Verbitterung in ihrem Herzen tragen.
Aber die Frage ist: Können wir durch Lieferung von Waffen Leid verhindern, oder besteht die Gefahr, dass Waffen alles noch schlimmer machen?

Nun sind wir ja auf einem Ostermarsch, und da möchte ich als Pfarrer auch ein klein bisschen von Ostern sprechen, genauer gesagt über die unmittelbare Vorgeschichte, an die wir an Gründonnerstag denken, und in der die gewaltfreie Haltung Jesu auf die Probe gestellt wird.
Die Soldaten kommen in den Garten Gethsemane, um Jesus gefangen zu nehmen. Einer seiner Jünger will ihn verteidigen, aber Jesus sagt: Steck dein Schwert weg, denn wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.

Dieser Satz entspricht ziemlich genau meiner Sorge, wenn es um Waffenlieferungen geht, denn: Wohin soll das alles führen?
Gerade wenn es mit Hilfe westlicher Waffen zu militärischen Erfolgen kommen sollte, kann es durch Gegenschläge Russlands zu hohen Opferzahlen auf ukrainischer Seite kommen. Soeben hat die CIA vor dem Einsatz taktischer Atomwaffen in einer solchen Situation gewarnt.
Und auch eine Ausweitung des Krieges über das Gebiet der Ukraine hinaus ist dann möglich, auch ein Angriff auf die Waffen liefernden Länder, die mit ihren Lieferungen zur Kriegspartei werden. Moskau hat in den letzten Tagen entsprechende Protestnoten verschickt.
Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Wer zum Panzer greift, wird durch taktische Atomwaffen umkommen.
Ist es wirklich verantwortungslos und unsolidarisch, Waffenlieferungen in Frage zu stellen, wenn gleichzeitig die Gefahr besteht, dass gerade die Waffenlieferungen zu noch größerem Leid führen könnten?

Oder ist es umgekehrt verantwortungslos, in Konfliktgebiete Waffen zu liefern, was jahrzehntelang aus gutem Grund die offizielle Haltung der Bundesrepublik zu Waffenexporten war (auch wenn das nicht wirklich umgesetzt wurde)?

Die Ukraine darf nicht verlieren, deshalb müssen wir Waffen liefern, hört man jetzt oft. Aber was genau heißt in diesem Krieg Verlieren oder Siegen? Dabei müsste das konkrete Ziel eines Krieges eigentlich bekannt und erreichbar sein.
Ein vollständiger Sieg wird kaum möglich sein. Das Entscheidende bleiben die Verhandlungen. Macht es dann wirklich Sinn, weiter Krieg zu führen, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken? Ob die Verhandlungen zu Ergebnissen führen hängt viel mehr davon ab, zu welchen Kompromissen man bereit ist.
Die Ukraine entscheidet. Aber auch wir entscheiden: Wofür geben wir Waffen? Und wie viele und welche Waffen? Ich habe Robert Habeck jetzt so verstanden: Wir liefern bewusst keine schweren Waffen. Diese Begrenzung finde ich richtig.
Ich stelle es mir nicht leicht vor, dem Druck von Melnyk und Selensky standzuhalten, und deshalb habe ich einigen Respekt vor der im Vergleich zu anderen Ländern noch vergleichsweise zurückhaltenden Haltung der Bundesregierung.

Gleichzeitig ist es jetzt wichtig, bei der Zurückhaltung zu bleiben bzw. zurückhaltender zu werden. Und die Milliardenhilfe zum Waffenkauf für die Ukraine ist leider auch eine Form von Militärhilfe.
Ich könnte mir vorstellen, dass es hilfreich wäre, auch seitens der Politik selbstbewusster der Kritik aus der Ukraine zu begegnen und in Deutschland und international klarer darzulegen, was auch gegen Waffenlieferungen spricht.
Und welche Vorteile ein alternativer Weg haben könnte.
Ich erlebe die deutsche Politik argumentativ weitgehend in der Defensive, und das trotz starker Unterstützung für die Ukraine, auch mit Waffen. Aber was spricht dagegen, sich stärker inhaltlich zu positionieren?
Bundespräsident Steinmeier wurde vom ukrainischen Botschafter Melnyk für ein Spinnennetz von Beziehungen nach Russland kritisiert und musste Fehler einräumen. Da gibt es sicherlich Ambivalenzen, aber ist es wirklich nötig, den Aufbau von Beziehungen grundsätzlich als Spinnennetz zu diskreditieren? Ich hoffe, dass das Beziehungen Knüpfen und Brückenbauen schon bald wieder an Bedeutung gewinnen wird.
Präsident Selensky sprach anlässlich des 50. Kriegstages davon, manche Politiker verhielten sich so, als würden sie keine Macht haben. Da fühlt man sich vermutlich erstmal beleidigt, aber es kann durchaus richtig sein, nicht alle seine Macht-Möglichkeiten zu nutzen, sondern auf andere Strategien zu setzen. Für das Christentum ist das im Grunde sogar ein Grundgedanke.
Ich denke es ist wichtig, sich zu erklären. Immer wieder deutlich zu machen, dass Waffen allein nicht zum Frieden führen werden.

Sicher wird man sich fragen lassen müssen: Was geschieht denn, wenn wir gar keine Waffen liefern?
Einen sehr großen praktischen Unterschied wird es nicht machen, da ja andere Länder Waffen liefern.
Deutschland würde sich damit stärker abgrenzen von der europäischen Gemeinschaft und den USA, und sicher vorgeworfen bekommen, einer Verantwortung nicht nachzukommen. Das kann man wie gesagt unterschiedlich sehen. Und über diese unterschiedlichen Sichtweisen sollte dann auch innerhalb des westlichen Bündnisses intensiver diskutiert werden.
Im besten Fall könnte ein solcher Schritt positive Auswirkungen auf die Verhandlungen haben. Weil sich die Ukraine vielleicht ein bisschen weniger auf die Kraft ihrer Waffen verlassen würde und so in den Gesprächen kompromissbereiter wäre.
Und weil Deutschland vielleicht etwas leichter ins Gespräch mit Putin kommen könnte. Das sind keine angenehmen Gespräche. Und leider stimmt auch der Satz nicht mehr, dass solange geredet wird nicht geschossen wird.
Aber dennoch, Gespräche sind der einzige Weg. An einer solchen Einsicht gilt es festzuhalten, auch in schwierigen Zeiten.

Rede Ostermarsch von Stephanie Schury
(es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir stehen hier wie jedes Jahr an Ostern zusammen, um für den Frieden zu demonstrieren. Doch dieses Jahr scheint alles anders. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Thema Krieg wieder ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Kanzler Olaf Scholz spricht von einer Zeitenwende, die seiner Meinung nach Aufrüstung und hohe Ausgaben für die Bundeswehr und Waffen beinhalten soll. Gerade auch deswegen braucht es jetzt noch mehr als sonst eine klare, friedenspolitische Stimme, die für Abrüstung, gegen Krieg und seine Ursachen einsteht.
Deswegen sind wir heute hier.

Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat die ganze Welt erschüttert und wir verurteilen diesen Krieg aufs Schärfste. Wir stehen solidarisch an der Seite der Ukrainer:innen. Dieser Krieg muss sofort beendet werden.
Unsere Solidarität gilt aber auch den Russ:innen, die sich trotz großer Repression, Verhaftungen und Gewalt in Russland gegen diesen Krieg und ihrer Regierung stellen.
Und deswegen dürfen auch die Kontakte in die russische Zivilgesellschaft, wie etwa durch Städtepartnerschaften nicht eingestellt werden. Die Antikriegsbewegung benötigt jede Unterstützung beim Kampf gegen Putin.

Wir stehen heute hier am Obelisken von Olu Oguibe mit dem Titel „Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument“. Dieses polarisierende Kunstwerk der letzten Documenta hat die Stadtpolitik viele Monate in Atem gehalten.
Wir, die Fraktion der Linken, haben für dieses Kunstwerk gekämpft und begrüßen es, dass es in der Stadt verblieben ist, auch wenn es uns am Königsplatz noch besser gefallen hätte. Denn für diesen Standort hat der Künstler das Werk konzipiert.

Denn wenn wir von Krieg und Frieden reden, können wir nicht über Flucht schweigen. Krieg ist und bleibt Fluchtgrund Nummer ein.
Auch durch den Krieg in der Ukraine müssen wieder Millionen Menschen fliehen. Aber es herrscht nicht nur in der Ukraine Krieg, auch andernorts müssen Menschen wegen Krieg ihre Heimat verlassen: etwa im Jemen, auf Mali oder auch immer noch in Syrien und Afghanistan, um nur einige Beispiel zu nennen.

Seit Beginn des Krieges sind viele Ukrainer:innen geflohen, nach Deutschland aber auch in andere europäische Staaten - die Solidarität in der Bevölkerung ist beeindruckend.
Hilfsnetzwerke werden reaktiviert oder gründen sich neu - die deutsche Bahn gewährt kostenfreien Transport, die Kommunen vereinfachen Aufnahmeprozesse…
Dieses unbürokratische schnelle Handeln macht Mut und lässt hoffen, dass am Ende der Mensch mehr zählt als der Profit.
Auf der anderen Seite muss leider auch gesagt werden, dass hier eindeutig eine Hierarchie unter Geflüchteten aufgemacht wird:
Drittstaatler:innen, die ebenso aus der Ukraine fliehen, etwa internationale Studierende, oder Menschen die als Geflüchtete in die Ukraine geflohen und nun wieder fliehen müssen, werden anders behandelt als ukrainische Staatsbürger:innen.
Und was ist eigentlich mit den Geflüchteten, welche im Niemandsland zwischen Polen und Belarus campieren?!?

Allen geflohenen Menschen muss kompromisslos Schutz und Hilfe geboten werden. Keine geflüchtete Person ist mehr wert als eine andere geflüchtete Person - Es ist nicht an uns zu bewerten, wer „mehr Recht“ auf Hilfe hat.

Zurück zur documenta - Dieses Jahr findet sie wieder statt, in 2 Monaten wird es losgehen. Die künstlerische Leitung, das indonesische Kollektiv ruangrupa, hat diese documenta unter ein besonderes Motto gestellt:
Die indonesische Lumbung-Architektur.
„Lumbung“ beschreibt in Indonesien eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird.
Diese Tradition des Teilens soll auf die Weltkunstausstellung übertragen werden.
Der solidarische Charakter des Lumbung könnte angesichts der Hungers in Afrika wegen des drohenden Ausfalls der ukrainischen und russischen Weizenernte, beispielgebend sein. Weizen statt Waffen.
Statt 100 Mrd. für die Rüstung und die Bundeswehr zu verschwenden, kann dieses Geld für die Bekämpfung des Hungers eingesetzt werden.
Der Hunger auf der gesamten Welt könnte bis 2030 beseitigt sein, wenn die Mittel zur Hungerbekämpfung um 14 Mrd. Euro pro Jahr erhöht würden. Stattdessen sind die Mittel im Bundeshaushalt gekürzt worden.

Weil Kunst auch immer Gegenwärtiges verarbeitet und darstellt wird der Krieg in der Ukraine und auch die Geflüchteten sicher eine Rolle auf der Documenta spielen.
Und sicher keine kleine.
Das kann man sogar jetzt schon am Fridericianum sehen. Dort hängen drei Banner der „Anti War Drawings“ des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi. Sie wurden als Protest gegen den Krieg in der Ukraine am Fridericianum installiert. Neben gezeichneten Panzern ist darauf „Stop War“, „Stop Putin“ und „Peace“ zu lesen.

Aber es gibt auch viele Entwicklungen in den letzten Wochen die uns Angst machen – Angst vor einer neuen Aufrüstung, Angst vor neuen Prioritätenverschiebungen in der Politik, Angst vor Eskalation.
Es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt und deswegen sagen wir deutlich: Keine Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete und ich bleibe auch dabei - und das heißt auch keine Waffenlieferung in die Ukraine. Das hilft nur den Rüstungskonzernen, nicht den Menschen, denn Deeskalation ist das Gebot der Stunde. Waffen schaffen keinen Frieden!
Und von Rüstung spanne ich den Bogen wieder zurück zur Documenta:
Das Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“ plant für den Documenta Sommer verschiedene Aktionen in Kassel, dem Ort der Rüstungsindustrie und der Kunst.
Es wird ein Protestcamp in der Goetheanlage geben, vom 30. August - 4.September und das Kollektiv der Rojava Filminiative wird gemeinsam mit dem Bündnis Rheinmetall entwaffnen im Rahmen der documenta vor Ort Aktionen durchführen.
Aber egal ob Teil des offiziellen Programms ist oder nicht, rufe ich Euch auf: Haltet die Augen offen und beteiligt Euch auch während der documenta an den Aktionen gegen die Rüstungsindustrie hier in Kassel.
Denn: Rheinmetall entwaffnen ist keine Kunst! Und Krieg nie eine Lösung!

Redebeitrag von Rolf Becker hier ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=bdwPARf9Ny0