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Atomarer und konventioneller Rüstungswahn: zwei Seiten der selben Medaille

Videokonferenz des Kasseler Friedensforums mit Christine Buchholz, (Die Linke, MdB), Katja Keul (Die Grünen, MdB),Timon Gremmels (SPD, MdB) und ca. 20 weiteren TeilnehmerInnen
Lutz Getzschmann (Kasseler Linke) hatte im vergangenem Jahr den Antrag für den ICAN-Städteappell im Kasseler Stadtparlament eingebracht und sprach zum Auftakt der Videokonferenz "Die Nato zwischen Atommachtwahn und Großmanövern“ am 20. Mai 2020 ein Grußwort:

Zunächst herzlichen Dank für die Einladung, bei dieser Veranstaltung ein kurzes Grußwort für die Stadtverordnetenfraktion Kasseler Linke zu halten. Auch in Zeiten der Corona-Pandemie ist es wichtig, den inhaltlichen Austausch und die politische Debatte zu suchen und friedenspolitisch Pflöcke zu setzen.
Vor einem Jahr hat die Kasseler Stadtverordnetenversammlung auf unseren Antrag hin beschlossen, dem ICAN-Städteappell für eine artomwaffenfreie Welt beizutreten. Kurz zum Kontext:
Im Juli 2017 wurde von den Vereinten Nationen der INF-Vertrag zum Verbot von Kernwaffen verabschiedet. Doch weder die wichtigen Atommächte noch die NATO-Staaten haben diesen Vertrag bisher unterschrieben, darunter auch Deutschland. Weltweit müssten 50 Staaten den INF-Vertrag ratifizieren, damit er in Kraft treten kann. Der Einsatz atomarer Waffen hätte verheerende Folge für Menschen, Städte und die Umwelt. Hiroshima und Nagasaki sollten uns ein warnendes Beispiel sein, dass wir es auf keinen Fall zu einem erneuten Rüstungswettkampf kommen lassen dürfen. Es ist sehr wichtig, dass sich Deutschland in dieser Sache mit der Unterzeichnung des Vertrages zum Verbot von Kernwaffen klar positioniert
Insbesondere für große Städte stellen Atomwaffen weltweit eine besondere Bedrohung dar. Sie sind im Ernstfall die primären Ziele eines atomaren Angriffs.
Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie sich gegen Atomwaffen aussprechen. Wenn Städte die Regierung dazu auffordern, dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beizutreten, ist dies eine spürbare Mahnung, dass die hier lebenden Menschen Massenvernichtungswaffen ablehnen. Die Bundesregierung ignoriert diese Sicht bisher.

ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen, ist ein globales Bündnis von 532 Partnerorganisationen in mehr als 103 Ländern, die darauf hinwirken wollen, jegliche Beteiligung an der atomaren Abschreckung und jegliche Verstrickung in Atombombengeschäften zu unterlassen. Im Jahr 2017 wurde ICAN mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der von ICAN initiierte Städteappell trägt nun dieses Anliegen auf die kommunale Ebene. Große Städte in Nordamerika, Europa und Australien haben den Appell schon unterzeichnet, darunter Los Angeles, Manchester und Sydney. In Deutschland zählen inzwischen fast 100 Städte zu den Unterstützern.

Nun ist die Resonanz auf den ICAN-Städteappell sicherlich ein Erfolg. Bewirkt hat er bisher allerdings noch nicht viel, was vor allem daran liegt, dass die dahinter stehende Mobilisierungsmacht der Friedensbewegung bisher noch nicht ausreicht, um die Regierenden nachhaltig unter Druck zu setzen. Hinzu kommt aber natürlich auch, dass atomarer und konventioneller Rüstungswahn zwei Seiten der selben Medaille sind. Und es fiel den Kasseler Stadtverordneten von SPD und Grünen noch relativ leicht, einen Antrag zu unterstützen, der sie nichts kostet und keine konkreten Wirtschaftsinteressen berührt. Aber sobald es tatsächlich lokal und konkret wird, sieht das dann auch schon wieder anders aus und das kann man gerade am Rüstungsstandort Kassel ganz gut beobachten.
Rheinmetall beabsichtigt, seine Teststrecke am Kasseler Werk Mittelfeld zu erweitern. Dieses Vorhaben ist, ungeachtet der weitgehenden formalen Nichtzuständigkeit der Kasseler Stadtverordnetenversammlung, aus unserer Sicht höchst kritikwürdig, schon deshalb, weil es schlaglichtartig einen der blinden Flecke der industriellen Entwicklung Kassels beleuchtet.

Rheinmetall ist als größter deutscher Rüstungskonzern ein aktiver Motor in einem zerstörerischen Räderwerk von Ausbeutung und Krieg. Die Hauptabsatzmärkte sind neben den NATO-Armeen logischerweise Krisen- und Kriegsgebiete wie der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrika.

Rheinmetall umgeht deutsche Rüstungsexportrichtlinien mit Munitionsproduktionsstätten in Südafrika und Italien. Auch am Bürgerkrieg im Jemen verdient dieser Konzern prächtig, unter anderem durch ein Joint-Venture mit der staatlichen saudi-arabischen Rüstungsholding SAMI.

Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wurden deutsche Leopard-Panzer bei dem völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf die Region Afrin in Nordsyrien im Januar 2018 eingesetzt. (Kanone und Munition für den Leopard kommen aus dem Hause Rheinmetall.) Dasselbe gilt auch für die Invasion in Rojava durch die türkische Armee und mit ihr verbündete Djihadistenmilizen im November/Dezember 2019, bei der nachweislich Rüstungsmaterial von Rheinmetall zum Einsatz kam.

Eine Gruppe von Menschenrechtsanwälten hat im letzten Dezember eine Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen deutsche Rüstungsunternehmen und Politiker wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen im Jemen erstattet.
Die Strafanzeige richtet sich vor allem gegen Rheinmetall, dessen Bomben durch Saudi-Arabien im Jemen auch gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kommen
Nun gilt im Völkerstrafrecht der Grundsatz, dass man sich auch strafbar macht, wenn man andere Personen bei der Begehung von Völkerrechtsverbrechen unterstützt, indem man die Werkzeuge hierfür zur Verfügung stellt. Dieses Konzept muss auch auf die Konzernverantwortlichen angewendet werden. Und zumindest gilt auch für die Mitglieder der Kasseler Stadtverordnetenversammlung, dem kommunalen Parlament jener Stadt von der, für tausende von Menschen von Libyen über Nordsyrien bis in den Jemen, mit diesen Kriegswaffen Tod und Elend ausgehen: Wer schweigt stimmt zu! Wer sich über tausende Arbeitsplätze bei Rheinmetall in Kassel freut und deshalb über die destruktiven und menschenverachtenden Folgen der hiesigen Kriegsproduktion nicht reden will, trägt mehr als nur ein Quentchen Schuld daran, dass Mord und Verwüstung weiterhin von hier in die Welt getragen werden.
Es gibt eine lange Tradition der Kasseler Stadtverordnetenversammlung, auch zu politischen Fragen Stellung zu beziehen, die nicht unmittelbar in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, so ist Kassel etwa zur atomwaffenfreien Zone erklärt worden und nicht zuletzt sei an dieser Stelle auch nochmal daran erinnert, dass die Stadtverordnetenversammlung sich bereits im Juli 2014 in einer Resolution gegen die geplante Lieferung von Panzern nach Algerien und die Beteiligung u.a. von Rheinmetall am Aufbau einer Panzerfabrik in Algerien ausgesprochen und die Bundesregierung aufgefordert hat, die entsprechende Genehmigung zu widerrufen.
Es wäre angezeigt, sich auch dort zu positionieren, wo unmittelbar lokale Interessen im Spiel sind und ein Konzern wie Rheinmetall kann nicht ernsthaft erwarten, dass die geplante Ausweitung ihrer Panzertestsrecken in Kassel nicht ein kritisches Echo in Bevölkerung und Kommunalpolitik findet.
Die Kasseler Rüstungsproduktion als solche gehört auf den Prüfstand. Rüstungskonversion ist das Gebot der Vernunft. In der hessischen Verfassung heißt es in Artikel 69: „Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig“. Wir wollen, dass dies kein reines Lippenbekenntnis ist und haben deshalb einen Antrag eingebracht, demzufolge die Sadtverordnetenversammlung den Bau dieser Panzerteststrecke missbilligt. Bisher waren die Rückmeldungen der anderen Fraktionen dazu allerdings nicht gerade ermutigend. Im Ausschuss für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen wurde unser Antrag bereits abgelehnt. Ich denke, dass auch hier gesellschaftlicher Druck und eine starke Friedensbewegung vonnöten ist, um weiterzukommen. Mehrheiten für fortschrittliche und anitimilitaristische Positionen entstehen nicht von allein, sondern nur durch das Zusammenspiel mit den sozialen Bewegungen.